Kriminalität im Internet

"Love-Scamming": Die perfide Betrugsmasche mit den falschen Liebesbekundungen

20.12.2021, 05:44 Uhr
Frauen werden immer wieder zu Opfern von Männern, die ihnen über das Internet die große Liebe vorgaukeln. Dahinter stecken oft Banden, die von Westafrika aus operieren.

© Martin Burger Frauen werden immer wieder zu Opfern von Männern, die ihnen über das Internet die große Liebe vorgaukeln. Dahinter stecken oft Banden, die von Westafrika aus operieren.

Jennica N. (Name geändert) ist eine zierliche zerbrechlich wirkende Frau. Doch ist ihr als einer der ganz wenigen gelungen, woran die deutschen Strafverfolgungsbehörden gescheitert sind: Sie hat einen Betrüger, der ihr über eine Fernbeziehung 211.000 Euro abknöpfte, im fernen Nigeria hinter Gitter gebracht.

"Die Aktion war sehr, sehr gefährlich", schilderte die Münchnerin mit asiatischem Migrationshintergrund die schmerzlichste Phase ihres Lebens. Die Geschichte der N. wäre reif für eine Verfilmung. Über einen Internet-Chat lernte sie 2014 einen Mann namens "John Alfred" kennen, der sich als Rechtsanwalt und Pastor aus Ghana ausgab.

"Alfred" überhäufte sie mit "unzähligen Schmeicheleien" und tatsächlich gab es auch zwei persönliche Treffen in der togoischen Hauptstadt Lomé. Der angebliche Anwalt und Pastor, der sich später auch noch als Sohn eines verstorbenen Königs aus Ghana ausgab, tat erfolgreich so, als wäre er vom Pech verfolgt.

Erfundene Geldnot

Einmal erlitt er einen Autounfall und benötigte Geld für die Behandlung, ein anderes Mal benötigte er Mittel, um sein Erbe in Form von 250 Kilogramm Gold von einer Bank freigeben zu lassen. Von Ende 2014 bis 2017 überwies N. Geld über nicht nachverfolgbare Wege nach Afrika. In der Summe waren es 211.000 Euro.

Als die Frau, die sich deshalb sogar verschuldete, über keine finanziellen Mittel mehr verfügte, brach der Anwalt, Pastor und Prinz den Kontakt ab.

"Naiv war ich", sagt N. heute. Als ihr ein in München arbeitender Nigerianer anhand von Tonaufnahmen darlegte, dass der Lover Nigerianer sein müsse, wurde N. das ganze Ausmaß des Betrugs klar. "Ich wurde sehr krank, musste ins Krankenhaus", schilderte sie ihren Gemütszustand.

Doch ihr nigerianischer Freund half ihr dabei, nicht einfach aufzugeben. Im März 2018 erstattete N. Strafanzeige bei der Polizei.

Das half nicht viel, denn zwischen Deutschland und Nigeria bestehen keinerlei Abkommen in Rechtshilfeangelegenheiten. Ein Jahr später stellte die Staatsanwaltschaft München das Verfahren ein. Doch die Geschädigte gab nicht auf und taute die Beziehung zu ihrem Liebhaber beharrlich wieder auf.

Über Kontakte ihres nigerianischen Freundes gelang es tatsächlich, "Alfred" am 11. September dieses Jahres auf dem Flughafen der nigerianischen Metropole Lagos verhaften zu lassen.

In Untersuchungshaft

Hilfreich war dabei die örtliche Wirtschafts-Strafverfolgungsbehörde "Economic Financial Crimes Commission". Seit Oktober sitzt "Alfred" in einem nigerianischen Gefängnis in Untersuchungshaft und soll sogar geständig sein.

Von ihrem Geld hat N. allerdings bisher keinen Cent gesehen. Natürlich sei es Ziel, von dem Geld etwas zurückzubekommen, "aber versprechen kann man gar nichts", sagt die Sprecherin der Münchener Staatsanwaltschaft Anne Leiding.

Die Zusammenarbeit mit ausländischen Behörden außerhalb der EU gestalte sich "erfahrungsgemäß sehr komplex."

Gerade deshalb operieren "Love Scammer" gerne von Ländern außerhalb der EU, vorzugsweise aus West-Afrika.

Nigeria, das sich schon früher als Basis zahlloser Betrugsversuche von angeblichen "Prinzen" hervorgetan hat, ist auch beim Geschäft mit der Liebe wieder ganz vorne mit dabei, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Hans Kornprobst.

In den Augen der Täter sei "Love Scamming" als "legitimer Broterwerb" anerkannt, berichtete Oberstaatsanwalt Thomas Goger, stellvertretender Leiter der Zentralstelle Cybercrime in Bamberg.

Die Männer, die sich damit befassen, operierten in Nigeria als "Yahoo-Boys". Die Täter seien darauf getrimmt, "die richtigen Knöpfe" bei ihren Opfern zu drücken und erwiesen sich als "ganz hervorragende Geschichtenerzähler."

Heiratsschwindel blüht

Der interkontinentale Heiratsschwindel blüht, berichtete Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU). 2020 habe die bayerische Justiz insgesamt 550 Anzeigen in Zusammenhang mit der modernen Form des Heiratsschwindels aufgenommen.

Die Geschädigten - überwiegend Frauen - verloren dabei neun Millionen Euro. In diesem Jahr gingen allein bei der Staatsanwaltschaft München I bereits 73 Strafanzeigen mit einem Gesamtschaden von 2,8 Millionen Euro ein.

Bei Liebesschwüren aus Afrika und dem sonstigen Ausland und ganz besonders bei Geldforderungen sollten sämtliche Alarmglocken schrillen, warnte Goger.

Dasselbe gelte, wenn vom Internet-Partner Bank- und Kreditkartendaten sowie intime Fotos gefordert werden. Goger appellierte an alle Geschädigten, ihre verständliche Scham zu überwinden und möglichst rasch zur Polizei zu gehen, "wenn es beginnt, merkwürdig zu werden."

Wenn die Geschädigten erst nach Jahren Anzeige erstatteten, seien die Spuren erkaltet und kaum noch etwas zu machen.

Dass die deutschen Strafverfolger nicht immer tatenlos zusehen müssen, wie einsame Menschen über den Tisch gezogen und seelisch schwer verletzt werden, machte der Cybercrime-Strafverfolger Goger an einem Fall aus dem Landkreis Deggendorf deutlich.

Fälle ähneln sich

Dort fiel eine 48-Jährige über Internet-Messenger-Dienste auf einen Mann herein, der sich als "Audrey Muller" vorstellte und vorgab, auf einer Bohrinsel in Italien zu arbeiten.

Er täuschte der Niederbayerin die große Liebe vor, hatte aber auch immer wieder Pech. So erlitt er einen schweren Autounfall, musste dringend eine medizinische Behandlung für seine todkranke Tochter organisieren und benötigte schließlich auch Geld für den Umzug von der Bohrinsel in die USA.

In Laufe der Zeit wurde die Frau um 70.000 Euro erleichtert. Der Täter hatte aber die Rechnung ohne den Zufall gemacht. Anfang dieses Jahres bekam die Deggendorferin von einer Unbekannten, die offensichtlich auch auf "Audrey Muller" hereingefallen war, einen Hinweis auf einen möglichen Betrug.

Fingierte Geldübergabe

Im April erstattete die 48-Jährige Anzeige, woraufhin es der Zentralstelle Cybercrime gelang, den "Liebhaber" zu einem persönlichen Übergabetermin zu bewegen.

Bei einer fingierten Geldübergabe am 14. Mai dieses Jahres schnappte die Falle im Nürnberger Hauptbahnhof zu: Ein Sondereinsatzkommando verhaftete eine 29-jährige Italienerin, die als "Agentin" tätig war, sowie zwei 21 und 27 Jahre alte Nigerianer.

Bei den Ermittlungen wurde aufgedeckt, dass die Bande noch mindestens zwei weitere Damen aus Mittelhessen und Mecklenburg-Vorpommern hereingelegt hatte, die 12.000 beziehungsweise 35.000 Euro verloren.

Der Fall gilt als Beweis dafür, dass die "Love Scamming"-Welle inzwischen das Mittelmeer überschritten hat und sich Strukturen organisierter Kriminalität auch in diesem "Geschäftsbereich" herausbilden.

Übrigens hätten Mittäter sogar noch nach der Festnahme der drei Gauner versucht, Geld zu erschwindeln, berichtete der Leitende Oberstaatsanwalt Goger.

Sie behaupteten, "Audrey Muller" sei zu Unrecht von der deutschen Polizei festgenommen worden und man benötige Geld, um ihn auszulösen. Goger: "Auch mit dieser Geschichte hatten die Täter leider Erfolg."

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