Interview mit dem Chef der EVP-Fraktion

Manfred Weber: CSU sollte in Zeiten der tiefen Spaltung mehr Nachdenklichkeit zeigen

7.12.2021, 17:59 Uhr
Gemeinsam beim Gillamoos: Manfred Weber und Markus Söder.

© Peter Kneffel/picture alliance/dpa Gemeinsam beim Gillamoos: Manfred Weber und Markus Söder.

Herr Weber, wie ging es Ihnen auf dem JU-Treffen vor zwei Monaten, als der CSU-Nachwuchs Markus Söder eher abstrafte und Sie umjubelte?

Das war ja direkt nach der Niederlage bei der Bundestagswahl. Daher waren wir dort alle sehr nachdenklich: Warum konnten wir die Menschen nicht von uns überzeugen? Seitdem haben wir einen intensiven Dialog in der Partei gestartet. Markus Söder ist sehr viel unterwegs.

Aber das war ja schon heftig bei der JU: Da wurde Söder aus einem Textentwurf gestrichen…"Es ist Zeit, (...) ein schlagkräftiges, frisches Team hinter unserem starken Zugpferd Markus Söder zu bilden, das glaubhaft die ganze Bandbreite einer Volkspartei abdeckt", hieß es zunächst. Am Ende fehlte dann das "Zugpferd Markus Söder", es blieb nur das "frische Team". Hat Sie das gefreut?

Ich bin zutiefst überzeugt, dass die CSU dann erfolgreich ist, wenn sie eine starke Führung hat und eine starke Mannschaft, die sichtbar ist und die unsere Programmatik abbildet. Das ist der Dreiklang, der uns erfolgreich macht. Markus Söder ist heute die unumstrittene Nummer eins in der CSU.

Wir brauchen Söders Stärke

Wir brauchen seine Stärke, damit wir 2023 die Landtagswahlen gewinnen. Klar ist aber auch: Die Nummer eins zu sein, bedeutet, große Verantwortung zu tragen. Das weiß Markus Söder. Die Bundestagswahl war ein Einschnitt, ein wichtiger Weckruf.

Zu Gast in der Redaktion: Manfred Weber.

Zu Gast in der Redaktion: Manfred Weber. © Michael Husarek, NN

Wie sehen Sie Söders Sticheleien während des Wahlkampfs gegen Laschet, die er offensichtlich nicht lassen konnte uns auch nicht lassen wollte?

Es gibt in CDU und CSU einen breiten Konsens, dass die Hauptverantwortung für die Niederlage bei Armin Laschet liegt. Er war der Kanzlerkandidat – und er konnte nicht verkörpern, was die Programmatik der neuen Union nach Angela Merkel ausmacht. Es wäre aber zu kurz gesprungen, wenn wir unsere Verantwortung als CSU wegschieben würden.

Zu wenig Programmatisches im Angebot

Wir hatten zu wenig Programmatisches im Angebot. Und die lange Diskussion über die Kanzlerkandidatur hat natürlich auch belastet. Wir alle müssen das aufarbeiten. Ich sehe da auch bei Markus Söder Selbstkritik.

Seine Fähigkeit, eigene Versäumnisse zuzugeben, hält sich in engen Grenzen. Fehler machen andere – er macht alles richtig. Ist das glaubwürdig?

Markus Söder ist eine fähige Führungspersönlichkeit. Das ist gerade in der Corona-Zeit sehr wichtig. Die Bayern wissen: Unser Land ist in dieser schwierigen Phase in guten Händen. Ich selbst denke, dass die Menschen schon auch reflektierte Politik erleben wollen. Dass man Nachdenklichkeit zeigen sollte. Das täte uns als CSU gut.

Das heißt: Sie sehen diese Nachdenklichkeit bei Söder zu wenig?

Söder hat seinen Stil. Das möchte ich respektieren, er hat da viele Stärken. Für die Politik insgesamt aber glaube ich, dass dieses Nachdenkliche gerade in Krisenzeiten sehr wichtig ist.

"Weniger Kommunikation um der Kommunikation willen"

Wir brauchen weniger Kommunikation um der Kommunikation willen. Wir müssen zeigen: Wir suchen einen Weg – wir wissen ihn vielleicht noch nicht hundertprozentig, aber wir suchen ihn. In Zeiten, wo wir eine tiefe Spaltung erleben, brauchen wir dieses Werbende, Einladende, Argumentierende in der Politik – es ist notwendiger als je zuvor.

Söder ist gleich CSU: Das ging lange gut. Bröckelt da was, ist die Partei und vor allem das Kabinett zu sehr auf ihn zugeschnitten und zu folgsam? Wofür steht die CSU eigentlich? Hat sie auch andere Köpfe?

Die CSU hat Gesichter, in München, in Berlin und Brüssel, wir sind stark verankert gerade in den Kommunen, siehe die Erfolge bei der Kommunalwahl etwa in Nürnberg. Wir haben viele junge Talente. Aber in Krisenzeiten konzentriert man sich auf den Chef und möchte Orientierung haben. Was mir wichtig ist: Wir müssen deutlich machen, dass die Erneuerung von CDU und CSU über Inhalte kommen muss, nicht nur über profilierte Personen.

Wir brauchen gute, kreative Inhalte, wir müssen zeigen: Was heißen unsere Wertvorstellungen in der Welt von heute? Ein Vergleich: Auch Edmund Stoiber war eine total starke Persönlichkeit. Aber er hatte damals erst mit der High-Tech-Offensive für Bayern und dann mit dem ausgeglichenen Haushalt sehr klare Ziele, wo er das Land hinführen will und wofür es sich lohnt, zu kämpfen. Darauf kommt es an.

"Wieder werben für das, was uns ausmacht"

Wir gewinnen keine Wahlen, wenn wir nur vor der „linken Mehrheit“ warnen wie bei der Bundestagswahl. Das war ein Argument, aber ein vergleichsweise schwaches. Ich möchte wieder werben für das, was uns ausmacht. Deswegen ist diese programmatische Erneuerung entscheidend dafür, ob wir wieder Menschen für uns gewinnen können.

Wofür steht denn eine moderne CSU? Was heißt konservativ sein heute?

Die CSU steht auf drei Pfeilern: christ-sozial, liberal, konservativ. Die größte Frage, die sich für mich stellt in unserem Land, ist: Können wir Zusammenhalt organisieren? Da heißt liberal sein nicht egoistisch sein. Wir müssen zuhören, eine wachsende soziale Kluft schließen. Wir haben in Corona-Zeiten viel Geld in die Hand genommen, um das Gesundheitswesen fit zu machen, wir haben noch mehr Geld in die Hand genommen, um unsere Wirtschaft zu stabilisieren.

Deswegen plädiere ich für einen dritten Pfeiler: Wir sollten genauso Geld in die Hand nehmen, um den Zusammenhalt zu organisieren. Ein Stärkungsprogramm fürs Gemeinwesen, für Vereine, den Bayerischen Jugendring und vor allem für Bildung und Familien. Da geht momentan vieles kaputt durch Corona, was unser Land ausmacht und prägt.

"Wir brauchen Investitionen in gesellschaftlichen Zusammenhalt"

Wir brauchen Investitionen in gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denken Sie an die vielen Menschen, die Einsamkeit erleben, Junge und Alte, Alleinerziehende. Da müssen wir als CSU sagen: Wir wollen Gemeinschaft organisieren. Das würde einen Nerv treffen.

Klingt das nicht nach einem Zurück in die gute alte Zeit?

Es geht mir auch um die modernen Bewegungen wie Fridays for Future. Überall dort, wo Gesellschaft sich engagiert, da müssen wir zuhören und stärken. Unser Sicherheitsnetz beginnt zu zerreißen. Ich will bestimmt nicht zurück in alte Zeiten – aber all jene Gruppen, die bisher Zusammenhalt organisierten, die Autoritäten waren, die einen Grundkonsens organisieren – die werden jeden Tag schwächer, wie Kirchen oder Gewerkschaften.

"Wo sind Autoritäten, die sagen, was notwendig ist?"

Das haben wir so nicht mehr, was Realität ist, aber große Lücken aufreißt. Wo sind Autoritäten, die über Parteien hinweg Konsens beschreiben und sagen, was gesellschaftlich notwendig ist? Ein gutes Beispiel, wo da so eine Autorität fehlt, aber nötig wäre, ist die Impfpflicht.

Glauben Sie, dass man auch mit Corona-Skeptikern und Impfgegnern diesen Zusammenhalt erreichen kann?

Die jetzige Entwicklung ist extrem besorgniserregend. Ich glaube, dass nur ein klares demokratisches Mandat diese Spaltung der Gesellschaft beenden kann. Deswegen ist der Weg richtig, mit der Frage der Impfpflicht nun in den Bundestag zu gehen, ohne Fraktionszwang. Ich würde für die Impfpflicht stimmen, es gibt keinen anderen Weg aus dieser Malaise. Und ich vertraue darauf, dass ein klarer Beschluss dann gesellschaftlichen Konsens bringt.

Sie galten 2019 – da waren Sie der erste Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl – schon als EU-Kommissionspräsident. Dann wurde es plötzlich Ursula von der Leyen. Wie lange haben Sie gebraucht, um diese Lektion Realpolitik zu verkraften?

Es waren für mich schwierige Monate. Was mir geholfen hat, war die Rückendeckung, die Ermutigung bei vielen Kontakten mit den Menschen. Das gab mir Kraft. Eine Niederlage ist erst dann eine, wenn man liegenbleibt und nicht weiterkämpft.

Laufen Sie in die Prinz-Charles-Falle: Nummer 2 ohne wirkliche Aussichten auf den Thron?

Ich bin Chef der größten Fraktion im Europäischen Parlament. Wir sind keiner Regierung verpflichtet. Derzeit werden dort die Regeln gesetzt, wie wir in den nächsten Jahrzehnten in Europa zusammenleben – das kann ausstrahlen wegen der Marktmacht, die die EU hat. Dieses Gestalten macht mir enorm viel Spaß – wenn auch nicht an der Stelle, die ich angestrebt hatte. Ich bewerbe mich zudem 2022 um den Vorsitz der EVP, also aller Christdemokraten in Europa. Das ist eine Aufgabe, die ich sehr gern machen würde.

Ist Europa nach wie vor das falsche Terrain, um innerhalb der CSU ganz nach oben zu kommen?

Ich bin schon immer meinen eigenen Weg gegangen und mit meiner Unterstützung in der Partei sehr zufrieden. Es gibt in der CSU aktuell keine Führungsfrage. Aber was Europa angeht, habe ich die CSU schon prägen dürfen – von der Gauweiler-Zeit mit antieuropäischen Tönen hin zu einem klaren Bekenntnis zu Europa. Da hat sich die CSU gewandelt und ist wieder zukunftsfähig geworden.

Und wir dürfen da angesichts der vielen Herausforderungen – wie gehen wir um mit Belarus, ein möglicher neuer Krieg Russlands gegen die Ukraine, Chinas Dominanz – nicht auf populistische Positionen zurückfallen.

Wir müssen klären, in welcher Welt wir ihn zehn Jahren leben wollen. In Bayern, aber auch im Bund und in Europa. Das ist mein Job.

Sie sind Niederbayer und haben es somit nicht weit nach Österreich und Tschechien. Die EU steht dort nicht wirklich hoch im Kurs, von Ungarn und Polen ganz zu schweigen. Ist das Projekt Europa vor dem Kippen?

Wer Europa vor dem Kippen sieht, der sieht unsere gesamte Zukunft vor dem Kippen. Es gibt keine gute Perspektive für Bayern ohne die Einbindung in Europa. Die junge Generation geht heute ganz selbstverständlich mit Europa um und ist auch bestens informiert über die EU – das stimmt mich optimistisch.

Auch der Brexit hat vielen gezeigt, dass ein Ausstieg aus der EU keine gute Idee ist. Wir müssen als CSU deutlich machen: Wir prägen Europa, wir gestalten mit. Das ist ein wichtiger Faktor, dass wir zurückkommen zu alter Stärke.

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