Marco Böhm: Der Fußball-Datensammler aus St. Veit

4.4.2021, 08:04 Uhr
Marco Böhm: Der Fußball-Datensammler aus St. Veit

© Foto: Privat

Hört man genauer hin, dann ist es allerdings keine emotionale, lebendige und unterhaltsame Radioreportage, die Böhm live sendet. Vielmehr sind es knappe, stichwortartige Fakten zum Spielgeschehen, die der 24-jährige St. Veiter unaufgeregt weitergibt. "Torschüsse, Fouls, Zweikämpfe, Gelbe und Rote Karten, Lattentreffer, Einwürfe, Ecken – da ist die ganze Palette dabei", sagt Marco Böhm. Bei ihm und seinem Job geht es nicht darum, ein schönes Tor zu zelebrieren, sondern schlichtweg festzuhalten, von wem die Vorarbeit kam, ob der Pass kurz, mittel oder lang war und ob der Treffer mit links, rechts oder per Kopf erzielt wurde.

Marco Böhm ist Datensammler im Fußballstadion. Ein sogenannter "Speaker", der vor Ort in der Arena ist und das Geschehen in Echtzeit telefonisch an einen "Writer" weitergibt. Letzterer sitzt in München-Ismaning und gibt die Daten sofort ins System ein. Beide, Speaker und Writer (auf Deutsch also der Sprecher und der Schreiber), arbeiten in der Live-Spielanalyse für das weltweit tätige Sportbusiness-Unternehmen Deltatre. Dessen riesige Datenbank nutzen Fernsehsender wie ARD, ZDF und Sky oder andere namhafte Medien ebenso wie die Deutsche Fußball-Liga (DFL), wie die Bundesliga-Klubs oder auch Wettanbieter.

"Das ist echt ganz cool"

Auch wenn es "nur" nebenberuflich ist, so klingt es doch nach einem Traumjob, den Marco Böhm da ergattert, oder? "Ja, das ist echt ganz cool und macht auch total Spaß", unterstreicht der Kapitän und Leistungsträger des Kreisligisten SG Ramsberg/St. Veit. Bei seinem Heimatverein spielt er seit vielen Jahren im Angriff oder im Mittelfeld. Im Herrenbereich hat er in 154 Spielen 58 Treffer für die "SG vom See" markiert. Nur in der U15 hat er mal für eine Saison beim TSV 1860 Weißenburg gespielt.

Marco Böhm: Der Fußball-Datensammler aus St. Veit

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Und auch sonst ist Fußball das große Hobby des jungen Mannes, der im Hauptberuf als gelernter Speditionskaufmann tätig ist. Wie die meisten in der Familie war er zunächst FC-Bayern-München-Fan. "Das war mir dann aber irgendwie zu einfach", sagt Böhm, der nicht zuletzt wegen Lukas Podolski auf den 1. FC Köln umsattelte. Ihm eiferte er als Jugendlicher gerne nach, wurde zum regelmäßigen Stadionbesucher bei Heimspielen des "Effzeh" oder auch bei Gastspielen der Geißböcke im süddeutschen Raum.

Vor gut einem Jahr kickte Corona dann allerdings den Stadionbesuch aus dem Freizeitprogramm von Marco Böhm. In Zeiten der Geisterspiele suchte er nach einem Weg, wie er trotz allem weiterhin live bei den Profis dabei sein konnte, suchte auf einem Online-Portal nach Fußballjobs und wurde bei Deltatre fündig. In den Bewerbungsgesprächen mit zwei Zoom-Meetings sowie beim einwöchigen Üben der Steno-Sprache konnte er mit seinem Fachwissen und Können offenbar vollauf überzeugen und erhielt die Zusage.

Solo-Premiere in Regensburg

Im Herbst folgten in der 2. Bundesliga die ersten Einsätze im Stadion, bei denen er angelernt und eingearbeitet wurde. "Anfangs war das schon heftig, auf was man alles achten muss. Wenn man es ein paar Mal gemacht hat, dann geht‘s allerdings", findet der 24-Jährige.

Anfang Januar war er dann erstmals auf sich allein gestellt und gab alle Fakten und relevanten Daten aus dem Regensburger Stadion beim Spiel des Jahn gegen den VfL Bochum weiter. Der Tabellenführer aus dem Ruhrpott gewann mit 2:0. Böhm hatte unter anderem vier Gelbe Karten, 29 Fouls, zwölf Ecken und 20 Torschüsse zu vermelden.

Marco Böhm: Der Fußball-Datensammler aus St. Veit

© Foto: Uwe Mühling

Das ist nur ein kleiner Teil aus der Statistik, der zeigt, dass er bei allen Spielen gut zu tun hat. Permanente Konzentration ist extrem wichtig. Dem Speaker darf nichts durch die Lappen gehen. Alle Spieler zu kennen, gehört sowieso zum Einmaleins. "Du musst halt immer wissen, wer gerade den Pass gespielt hat, da steckt schon auch einiges an Verantwortung drin", stellt Böhm fest.

Grundsätzlich hätte er im Zweifelsfalls auch die Möglichkeit zu den Schiedsrichtern zu gehen und strittige Fragen – beispielsweise beim Grund für eine Verwarnung oder einen Platzverweis – abzuklären. Aktuell ist das jedoch aufgrund der Corona-Regelungen nicht möglich. Genauso wenig wie der Gang in die Mixed-Zone oder auf die Pressekonferenz, die dem St. Veiter in normalen Zeiten offenstehen würde. Dann hätte er auch Kontakt zu Spielern und Trainern, worauf er sich schon jetzt besonders freut.

Vertrag pro Saison

Derzeit ist er zumeist zweimal im Monat im Einsatz. Honoriert wird seine Arbeit mit einem niedrigen dreistelligen Betrag pro Spiel, der Vertrag läuft immer über eine Saison. Marco Böhm hofft natürlich auf eine Verlängerung – und wenn er seine Sache weiterhin so gut macht, vielleicht auch auf den Sprung in die 1. Bundesliga. Bei Spielen "seines" 1. FC Köln könnte es dann allerdings ein bisschen schwierig werden, die Emotionen hinter den Fakten anzustellen.

Derzeit ist das aber kein Problem: Er ist bei Partien des 1. FC Nürnberg, der SpVgg Greuther Fürth und des Jahn Regensburg gefordert. Hierbei leidet oder freut er sich nicht als Fan, sondern kann sich ganz sachlich auf die Daten konzentrieren.

So ist es auch am Ostersonntag, wenn der Club um 13.30 Uhr im Max-Morlock-Stadion den SC Paderborn empfängt. Rund zwei Stunden vor Anpfiff ist Böhm vor Ort und fährt auf den VIP-Parkplatz, er holt sich seine Arbeitskarte am Stadion ab und nimmt dann seinen Platz auf der Pressetribüne ein.

"Anreise wie in der B-Klasse"

Momentan läuft das alles sehr ruhig ab. "Die Anreise ist im Prinzip wie bei einem B-Klassen-Spiel", erzählt Marco Böhm mit einem Schmunzeln. Weil die Zuschauer fehlen, gibt es keine Staus und kein Gedränge. Im gähnend leeren Stadion sind nur die unmittelbar Beteiligten.

Es gibt keine Fangesänge und keinen Böllerknall. In der Einarbeitungszeit war es ganz gut für Böhm, dass solche Ablenkungsmanöver fehlten, er konnte sich ganz auf den Fußball konzentrieren. Das Drumherum ist bei Geisterspielen weitgehend ausgeblendet.

Inzwischen sehnt der SG-Spielführer, der mit seiner Ramsberg-Veiter Amateurmannschaft seit fast einem halben Jahr pausieren muss, allerdings die eigene Rückkehr auf den Platz und auch die Rückkehr der Zuschauer und Fans in den Fußball-Arenen des Landes förmlich herbei: "Ich freue mich riesig, wenn die Stadien wieder voll sind und wieder Highlife herrscht", sagt Marco Böhm. Als Datensammler würde er es weniger emotional ausdrücken . . .

 

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