„Nur nicht zuhause verkriechen“

13.7.2014, 06:00 Uhr

Herr Haus, wer begegnet Ihnen häufiger: Menschen, die Sie für Ihre Leistung bewundern, oder Personen, die sich am Verhalten Margas stören?

Siegfried Haus: Freunde, die mich gut kennen, bewundern mich. Aber ich muss sagen, ich habe auch kaum schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht, denen wir zufällig begegnen. Im Gegenteil – ich bin häufig überrascht von positiven Reaktionen.

 

Wie viel hat das mit Ihrer Art und Weise zu tun, mit der Krankheit umzugehen?

Haus: Ich bin Pragmatiker. Seitdem mir klar war, das ist eine Krankheit, daran kannst du nichts ändern, frage ich nicht nach dem Warum, sondern danach, wie ich die Probleme lösen kann. Da wir uns nicht zuhause verkriechen wollen, gehe ich trotz Pflegestufe III überall mit der Krankheit offen um.

 

Nicht alle Angehörigen trauen sich, mit ihrem erkrankten Partner oder Elternteil zum Beispiel Essen zu gehen.

Haus: Wenn ich vorab reserviere, erkläre ich die Situation und bitte darum, einen leeren Tisch vorzufinden, also ohne Tischdecke, ohne Salz- und Pfefferstreuer, ohne Blumenvase. Kehren wir nach einer Wanderung spontan ein, dann frage  ich, ob der  Tisch freigeräumt werden kann. Da ist mir noch immer Verständnis entgegengebracht worden. Tischnachbarn erkläre ich kurz die Krankheit meiner Frau und sage ihnen, dass sie die ganze Zeit singt und brabbelt.

 

Aber Flecken auf der Tischdecke sind doch gar nicht so schlimm . . .

Haus: Nein, nein, darum geht es nicht. Eine Tischdecke ist für Marga eine Herausforderung, Da kommen wir nicht zum Essen, sondern sie zieht auf der einen Seite und ich halte auf der anderen dagegen. Marga hat nämlich einen unglaublichen Zerstörungsdrang. Sie macht Dinge kaputt. Wenn sie es nicht mit den Händen schafft, dann zerbeißt sie sie. Vandalismus ist eine Erscheinungsform der Krankheit. Doch wenn der Tisch leer ist, kommen wir beide gut zurecht und können in Ruhe essen.

 

Können Sie zumindest im Nachhinein auch schmunzeln über Ihre Erlebnisse mit Marga?

Haus: Eigentlich immer, denn Marga kann ja nichts dafür. Sie ist völlig hilflos, nur körperlich ist sie fit. Wenn sie zum Beispiel einer Verkäuferin, die gerade etwas unten aus einem Regal holt, im Vorbeigehen auf den Hintern klapst . . . ich erkläre das natürlich. Oder am Marktstand muss ich sie loslassen, weil ich zum Bezahlen beide Hände brauche, dann bitte ich andere, sie festzuhalten. Denn wenn man nicht aufpasst, macht Marga einen Ausfallschritt und schon ist sie weg. Da kann es schon vorkommen, dass sie  die Fremden nicht mehr gehen lassen will.

 

Können Sie sich vorstellen, dass Ihr gemeinsamer Weg irgendwann doch in einem Heim endet?

Haus: Darüber denke ich erst nach, wenn es so weit sein sollte. Ich treffe Vorsorge, aber ansonsten lasse ich jeden Tag auf mich zukommen. Nach sieben Jahren Pflege habe ich immer noch meinen Humor und Marga lächelt auch immer.

 

In Ihrem Buch gehen Sie nicht nur auf Ihren Alltag mit Marga ein, sondern offenbaren auch Ihr Fachwissen über die Krankheit. Wie haben Sie sich das angeeignet?

Haus: Zum einen haben wir in Oberasbach sehr gute gerontopsychiatrische Fachkräfte, die mir anfangs sehr weitergeholfen haben. Eine hat mir das Buch „Alzheimer und Demenzen“ empfohlen – für mich die Alzheimer-Bibel. Hier taucht ein Begriff auf, der mir sehr weitergeholfen hat: Validation. Jeder Demenzbegleiter sollte sich hier einarbeiten. Es ist eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Kranken statt dem Versuch, ihn zu korrigieren und ihm zu widersprechen.

 

Wichtig war für Sie auch das Angebot von Demas – ein  Internetkurs für pflegende Angehörige.

Haus: Das ist ein kostenloses Schulungs- und Beratungsprogramm, in dem Experten Ratschläge geben. Als ich das entdeckte, wusste ich schon vieles über die Krankheit, aber man lernt nie aus.

Sie geben Ihr Wissen gerne weiter. Wo tun Sie das?

Haus: Eigentlich überall, wohin ich eingeladen werde, und oft wird Marga dort sogar liebevoll betreut, während ich spreche. Seit ich selbst vergangenes Jahr eine Reha im Alzheimer-Therapiezentrum Ratzeburg in Anspruch genommen habe,  war ich kürzlich zum dortigen Forum zum Thema „Demenz: Eine Diagnose –  zwei Patienten“ eingeladen und Teilnehmer einer Podiumsdiskussion. Außerdem nehme ich regelmäßig an der Gesprächsgruppe für Angehörige demenzkranker Menschen teil, die die Diakonie in Oberasbach anbietet. Zeitweise leite ich die Gruppe auch.

 

Und natürlich haben Sie Ihr Buch geschrieben. Hier sprechen Sie sehr intime Themen wie Inkontinenz an, geben aber auch praktische Hinweise über den Umgang mit der Bürokratie von Krankenkasse und Pflegeversicherung, die auf die Angehörigen zukommt. Wird Ihr Buch demnächst verlegt?

Haus: Darum habe ich mich noch nicht gekümmert, zumal Änderungen in der Pflegekasse anstehen und ich dann einiges überarbeiten muss. Aber wer jetzt schon interessiert ist, kann mein Manuskript als PDF- Datei zugesendet bekommen.

Kontakt zu Siegfried Haus über shaus@t-online.de. Weiter Infos: www.demenz-anders-sehen.de

www.integrative-validation.de 

Alzheimer Therapiezentrum Ratzeburg: www.atzrz.de

Buchtipp: Prof. Dr. Sabine Engel, „Alzheimer und Demenzen“

Keine Kommentare