Bildung

"Isch hab Geistesblitz" - Verkommt die deutsche Sprache?

30.9.2021, 12:48 Uhr
Handschrift, Rechtschreibung, Grammatik: Wie gut und sicher lernen Kinder und Jugendliche, zu schreiben? 

© Mohssen Assanimoghaddam, dpa Handschrift, Rechtschreibung, Grammatik: Wie gut und sicher lernen Kinder und Jugendliche, zu schreiben? 

Schon im Mittelalter haben sich Schulmeister darüber beschwert, dass Kinder nicht mehr wüssten, was korrektes Deutsch sei. Das ist im dritten Bericht nachzulesen, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zur Lage der deutschen Sprache in den Schulen erstellt haben.

"Unter historischer Perspektive haben Grundschüler mit Gymnasialempfehlung heute einen größeren Wortschatz und flexiblere Ausdrucksmöglichkeiten, während die Sicherheit in der Rechtschreibung eher zurückgegangen ist“, sagt Projektleiterin Ursula Bredel von der Stiftung Universität Hildesheim.

Der Ludwigsburger Sprachwissenschaftler Dirk Betzel hat das genauer untersucht, mit 1000 Texten von Grundschülern aus Nordrhein-Westfalen von 1972 bis 2012. Der Fehlerquotient bei der Großschreibung stieg darin deutlich von 3,1 auf 11,2. Aber Betzel sagt, daraus könne man keine generelle Tendenz zur Verschlechterung ableiten, da dies nur eine Facette sei.

Der häufigste Fehler ist nach Angaben des Gießener Germanistik-Professors Helmuth Feilke das falsche „das“ oder „dass“ - und zwar sowohl bei Schülerinnen und Schülern als auch bei Erwachsenen. Für Feilke ist es ein „faszinierender Fehler“. Grammatisch seien die Verhältnisse sehr klar, er sei weder mit der Rechtschreibreform noch mit der Lehrweise zu erklären.

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Von einem Fünftklässler stammt folgender Text: „Ich finde meiner Meinung nach das der Radfahrer der Unfallverursacher war. Weil er einfach auf die Straße gefahren ist und nicht angehalten hat.“ Für Feilke ist das nicht allein ein Satz mit Fehlern, sondern „Sprache im Werden“. Das Kind wendet etwa das „Weil“ so an, wie es dies vom Sprechen als Antwort auf Fragen kennt. Wie schriftliche Sprache funktioniert, lernt es erst noch.

Projektleiterin Ursula Bredel stellt auf einer Pressekonferenz den Bericht zur Lage der deutschen Sprache vor. 

Projektleiterin Ursula Bredel stellt auf einer Pressekonferenz den Bericht zur Lage der deutschen Sprache vor.  © Monika Skolimowska, dpa

Einen Anteil daran, wie sich Kinder und Jugendliche sprachlich entwickeln, hat auch das Elternhaus, wie die Wuppertaler Sprachwissenschaftlerin Vivien Heller nahelegt. Ein Schluss, der sich ziehen lässt: Wer zuhause mit den Eltern über Filme oder Bücher diskutiert, hat es leichter, als wenn dort nur über Organisatorisches gesprochen wird.

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Handschrift oder Tippen? Beides ist wichtig, wie Ursula Bredel deutlich macht. Für den Spracherwerb spielt das Schreiben demnach eine große Rolle, weil die motorischen Abläufe auch das Denken und die Wahrnehmung stabilisieren und unterstützen. In späteren Jahren wird dann das Tastaturschreiben interessanter, wenn es darum geht, längere Texte zu schreiben. Beide Techniken sollten gut und auch methodisch sorgfältig geübt werden.

Mit Blick auf die Debatte, welche Schrift an den Grundschulen gelehrt werden sollte, plädiert Bredel für eine verbundene Schrift (die nicht nach Druckbuchstaben aussieht), und dabei für die sogenannte Schulausgangsschrift. Ob noch in 20 Jahren das Schreiben mit der Hand gelehrt wird? „Ich weiß es nicht, würde es mir aber wünschen.“ Künftig könnten bei den Älteren in der Schule auch das Diktieren und die Spracherkennungsprogramme eine größere Rolle spielen.

Was sich verbessern sollte

Bredel erklärt, die Schule fördere den Auf- und Ausbau bildungssprachlicher Fähigkeiten. Das gelingt ihren Worten nach dann besonders gut, wenn die Voraussetzungen in der Familie gegeben sind, wenn die Schule herausfordernde Aufgaben stellt und die Lehrkräfte als gute Sprachmodelle dienen. „Dies alles sehen wir eher in den Gymnasien und nur bedingt in den anderen Schularten.“

Besser werden sollte laut der Experten die Fort- und Weiterbildung im Lehrerbereich. Das sei ein „großes Manko“, sagt Projektleiter Feilke. Das Spektrum der Anforderungen an die Schule sei enorm gestiegen, sie erfülle sehr viele ihrer Aufgaben. Aber: „Sie muss und sie kann besser werden.“

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