Unrunde Geschichte

Warum mitten in Wien die kleinste Republik der Welt liegt

19.5.2022, 05:53 Uhr
Warum mitten in Wien die kleinste Republik der Welt liegt

© Christian Urban

Man könnte die Mikronation leicht mit einer Attraktion verwechseln - denn man findet sie im Wiener Prater hinter Achterbahnen, Karussellen und Spiegelkabinetten: Eine große orange-braune Kugel aus Holz, die umzäunt ist. Doch genau genommen steht sie gar nicht in Österreich - sondern in der Republik Kugelmugel.

Eine Mikronation - auch Fantasiestaat oder Scheinstaat genannt - ist ein Gebilde, das als eigenständiger souveräner Staat aufzutreten scheint. Jedoch fehlen diesen meist genau die Eigenschaften, die einen Staat nach Völkerrecht ausmachen. Oft werden sie von anerkannten souveränen Staaten nicht anerkannt - und viele Mikronationen nehmen sich auch selbst nicht ernst oder sind aus Kunstprojekten entstanden. Die kleinste Republik der Welt will sehr wohl als echte Nation verstanden werden. Doch die Geschichte von Kugelmugel ist nicht ganz rund - und sie hat auch nicht in Wien begonnen.

Der Erschaffer: ein Künstler - und Ex-Häftling

Ein Staat mit einem Durchmesser von acht Metern - umgeben von einem Stacheldrahtzaun, mit einem Grenzübergangsschild und einem Hinweisschild, dass es sich um eine echte Republik handelt. Sie kann in etwa zwanzig Sekunden umrundet werden und wirft man einen Blick über den Zaun, entdeckt man ein Straßenschild. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein einfaches Ortsschild: Es ist ein Straßenschild für Kugelmugels Antifaschismusplatz.

Zudem ist ein Lobesschild zu sehen, das dem ersten Präsidenten Edwin Lipburger gewidmet ist. "Dieser Platz ist dem großen demokratischen Revolutionsführer Edwin Lipburger, der hier begonnen hat, die ganze alte Moral abzuschaffen und alle Korruptionsformen unter jeder Maske zu bekämpfen und auszumerzen, gewidmet", heißt es im Stadtmagazin Stadtbekannt. Kugelmugel wurde 1971 im niederösterreichischen Ort Katzelsdorf vom österreichischen Künstler Lipburger errichtet - 1982 zog sie um.

"Eine Kugel ist das einzig Wahre auf dieser Welt"

Lipburger hatte eine bestimmte Vorstellung - und eine Abneigung gegen Ecken und Kanten: "Alles ist rund, die Erde, das Leben, die Kugel, alles dreht sich… Warum baut man nicht runde Häuser, warum wohnen wir nicht in Kugeln?", zitiert ihn Stadtbekannt. Doch seine Pläne gingen darüber hinaus: Lipburger weigerte sich, Steuern zu zahlen. Seine Lösung: Er behauptete, Einwohner Kugelmugels müssten in Österreich keine Steuern zahlen. Sein Konzept ging nicht auf, doch diese Niederlage war nicht das einzige Problem.

Lipburger wandert ins Gefängnis

Er wollte einen eigenen Ort erschaffen, einen Ort mit kugelrunden Häusern. Die Baugenehmigung bekam er von dem Bürgermeister Kugelmugels. Das bedeutet: Er erteilte sie sich selbst. Wegen des illegalen Baus entstand ein Rechtsstreit - und als dieser sich zuspitzte, musste der Exilant für einige Wochen ins Gefängnis. Nachdem der Bundespräsident ihn begnadigte, zog Lipburger mit Kugelmugel nach Wien.

Doch auch in Wien kam die Mikronation nicht zur Ruhe: Es kam zu einer "Kriegserklärung" an der Grenze der Republik nach Österreich. Der Vorwurf: Die Nachbarrepublik Österreich habe weder Wasser- noch Stromanschluss bereitgestellt. Dies soll die Nutzung der Republik Kugelmugel beinahe unmöglich gemacht haben, heißt es in Stadtbekannt.

Was wurde aus Kugelmugel?

2008 soll es angeblich weltweit 611 offizielle Staatsbürger der Republik gegeben haben. Wie viele es heute sind, bleibt ungewiss. Jahrelang vegetierte sie aufgrund eines erneuten Rechtstreit - diesmal mit der Stadt Wien und der Pächterin des Grundstücks - vor sich hin. Als Lipburger 2015 verstarb, übergab er sein Amt an seinen Sohn Nikolaus, der die Kugel 1970 gemeinsam mit seinem Vater erbaut hatte. Heute können Gäste die Mikronation Kugelmugel vereinzelt von innen sehen: In der Mikronation Kugelmugel finden künstlerische Ausstellungen Platz. Und lediglich mit dem Besuch einer solchen Ausstellung ist es Besuchern gestattet, in die Republik einzureisen.