Will und Illner im Sonntagabend-Talk-Wettstreit

5.4.2020, 23:28 Uhr
Will und Illner im Sonntagabend-Talk-Wettstreit

© ARD/ZDF Montage: NN-Redaktionsservice

Normalerweise gehört der Donnerstagabend Maybrit lllner. Um 22.15 Uhr startet ihre politische Talkrunde und seit ihrer Sendung vom 12. März kennt die 55-Jährige nur ein Thema: Corona und seine Folgen. Bei Anne Will steht das Virus seit dem 8. März im Mittelpunkt jeder Sendung, die ihren festen Platz am Sonntagabend hat. Doch seit drei Wochen hat das ZDF nun auch den Sonntag als attraktiven Sendeplatz für politische Gespräche entdeckt und lässt ein zweites Mal in der Woche Maybrit Illner antreten - mit einem "Corona spezial".

Über den sittlichen Nährwert solcher Talksendungen wird seit ihrem Bestehen diskutiert. In Krisenzeiten erleben Pro und Contra durchaus erstaunliche Wendungen. So musste sich Anne Will herbe Kritik an ihrer Gesprächsführung bei der Sendung vom 15. März gefallen lassen, als sie den zugeschalteten obersten bayerischen Krisenmanager Markus Söder mehrfach auf seine Auseinandersetzung mit dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet ansprach. Söder und Laschet waren bei der von der Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufenen Corona-Konferenz der Ministerpräsidenten ob der Frage heftig aneinandergeraten, mit welchen Maßnahmen die Krise bewältigt werden kann und es zudem Kritik am Vorpreschen vom Freistaat Bayern gegeben hatte.

Wenig Neues trotz viel Talk

Wenn es um die Bewältigung der Krise geht, sind aber Nachfragen eher unerwünscht und der Bevölkerung soll deutlich gemacht werden, dass Politik und alle relevanten Kräfte Hand in Hand arbeiten, um mit der Situation fertig zu werden. Klar, Panikmache ist fehl am Platz, aber ein Blick in die Sendungen der beiden Talkerinnen zeigt, wie schwierig es angesichts der täglichen Tagesschau- Heute-RTL und SAT1-Extra-Sendungen inzwischen geworden ist, der Coronakrise und ihren Folgen noch neue - oder noch besser - hilfreiche Aspekte abzugewinnen.

Im Wettstreit um die Gunst der Fernsehzuschauer fuhren die beiden Journalistinnen in den vergangenen Wochen hochkarätige Gäste auf. Vom Virologen Christian Drosten (Maybrit Illner) bis hin zum Wirtschaftsminister Peter Altmaier (Anne Will) reicht die lange Liste derer, die im Fernsehstudio oder per Videokonferenz Teil der Sendung wurden. An diesem Sonntagabend ist es bei Anne Will Bundesfinanzminister Olaf Scholz, der Stellung zum Thema "Schutz in den Alten- und Pflegeheimen" nehmen soll. Scholz ist allerorten ein gefragter Interviewpartner und war bei Illner schon drei Mal und bei Will jetzt zum zweiten Mal zu Gast.

Wirklich Neues können an diesem Abend jedoch weder der Politiker noch die Experten beitragen. Die Forderung "testen, testen, testen" unterschreibt jeder in der Runde. Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, weißt aufgrund der hohen Sterberaten in Betreuungseinrichtungen (zurecht) darauf hin, dass "Heime genauso ernst genommen werden müssen, wie die Krankenhäuser". Für Scholz bleibt an dieser Stelle nur, auf die Bemühungen der Bundesregierung hinzuweisen, sowohl bei Geräten als auch bei Schutzkleidung auf dem Weltmarkt fündig zu werden.

Bewegung in der Bezahlung der Pflegeberufe?

Die Diskussion darüber, was man aus der Krise lernen kann, wurde zumindest von Alexander Kekulé auf den Boden der Tatsachen zurückgeführt, der sich an "Feuerwehrleute, die zum Einsatz fahren" erinnert fühlt, die "darüber reden, was sie in der Zukunft löschen wollen." Damit war aber auch klar, dass sich der Austausch der Argumente schnell um die hinlänglich bekannten Probleme dreht: Der nachweisliche Mangel an Produkten für das medizinische Personal in Kombination mit den schrittweisen Entscheidungen der Bundesregierung, die Mängel zu beseitigen. Es ist eine Beschreibung der Krisensituation, ohne dass es darauf Antworten geben könnte.

Bewegung könnte es allerdings in der Bezahlung der pflegenden Berufe geben. Scholz sagte, es genüge ihm nicht, jetzt über systemrelevante Berufe zu sprechen, sondern er kündigte an, dass die Krise "Konsequenzen haben wird." Sein Appell in diesem Zusammenhang: "Höhere Gehälter bedeuten, dass die Pflege und medizinische Versorgung teurer werden, aber das muss es uns dann auch wert sein."

Konkrete Vorschläge sind Mangelware

Derweil startete Maybrit Illner 25 Minuten nach Anne Will ihr "Corona Spezial". Hier war mit Familienministerin Franziska Giffey und dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck reichlich politische Prominenz vorhanden, die sich der deutlichen Kritik aus dem Bereich des Pflegebereichs ausgesetzt sahen. Der Pflegenotstand sei seit Jahren immer beklagt worden, so Eva Ohlert, die seit 30 Jahren als Altenpflegerin arbeitet.

Auch bei Maybrit Illner ging es um nicht vorhandene Schutzkleidung, die Isolierung der Menschen in Senioren- und Pflegeheimen und die fehlende Wertschätzung der Pflegeberufe. Und auch hier gingen viele Gesprächsbeiträge in die Richtung, was sich in der Zukunft ändern muss und weniger um konkrete Vorschläge, wie in der momentanen Situation damit umgegangen werden kann.

Emotionaler ging es bei Maybrit Illner allemal zu. Ob allerdings die Diskussion darüber, was es bedeutet, wenn man von einem sterbenden Angehörigen nicht mehr persönlich Abschied nehmen kann, in Zeiten der weltweiten Coronakrise zielführend ist, sei dahingestellt. Zumindest wurde nochmals deutlich, dass die Leistung der Pflegekräfte nun in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und nach einer anderen Wertschätzung verlangt.

Publikumsinteresse schwindet langsam

Ihr Publikum scheinen die beiden Talkerinnen bei all den hinlänglich ausgetauschten Argumenten um das Thema Corona dennoch zu finden. Anne Will erreichte am 29. März 4,21 Millionen Menschen, Maybrit Illner immerhin noch 2,66 Millionen.

Allerdings ist bereits jetzt ein Abflauen des Interesses zu verzeichnen. Waren es am 15. März bei Anne Will noch über 6 Millionen Zuschauer und damit so viele, wie seit September 2019 nicht mehr, waren es eine Woche später zumindest noch 5,75 Millionen. Maybrit Illner konnte mit dem ersten "Corona spezial" noch mit 3,30 Millionen Zuschauern punkten, eine Woche später waren es noch 3,07 Millionen, ehe es nun deutlich unter die Drei-Millionen-Marke ging. Die Krise allein rettet die Quote der beiden offensichtlich nicht. Es muss schon auch etwas Substanz bei den Gesprächen mit den Talkgästen geboten werden.

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