Zehn Jahre Rauchverbot: Über die Hassliebe zur Zigarette

2.7.2020, 05:56 Uhr
Zehn Jahre Rauchverbot: Über die Hassliebe zur Zigarette

© Foto/Repro: Alex Geana

Goethe konnte vieles nicht ausstehen, Brillen zum Beispiel und ergo Brillenträger, noch weniger mochte er Raucher. "Das Rauchen macht dumm, es macht unfähig zum Denken und Dichten", postulierte der Staatsdichter aus Weimar, dessen größter Verehrer vom Nikotin nicht lassen wollte.

"Ich verstehe nicht, wie jemand nicht rauchen kann, er bringt sich doch, sozusagen, um des Lebens bestes Teil", lässt der passionierte Raucher Thomas Mann seinen Hans Castorp im Zauberberg sagen. Von David Hockney, einem der bedeutendsten Maler der Gegenwart, ist bekannt, dass er sich ohne einen Notvorrat an Zigaretten zu arbeiten außerstande sähe. Wobei man dazusagen sollte, dass der Notvorrat stets mindestens 2000 Stück umfassen muss.

Seit der Tabak im Gefolge des Christoph Kolumbus und der spanischen Konquistadoren im frühen 16. Jahrhundert Europa erreichte, inspirierte der Qualm – dessen Freunde. Und dessen Verächter, gleichwohl lebten sie ganz gut miteinander. Rauchverbote sind so alt wie die Geschichte des blauen Dunstes, als Europas erster Raucher brachte es Rodrigo de Jerez, einer von Kolumbus’ Matrosen, zu einem gewissen Ruhm – weil man ihn, gescholten als Botschafter der rauchenden Hölle, für sieben Jahre in den Kerker steckte.


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In England brachte König Jakob I. schon 1603 seine Abscheu gegen die "liderlichen Raucher" zum Ausdruck; der Mär zufolge verzichtete der vom König zum Tode verurteilte Sir Walter Raleigh, ein beliebter Entdecker, Schriftsteller und Politiker, schon aus Trotz auf die Henkersmahlzeit – und wünschte sich stattdessen das, was sich bald viele Delinquenten wünschen sollten: eine letzte Zigarette.

Die unglückliche deutsche März-Revolution von 1848 hatte sich nicht nur Freiheit und Demokratie auf die Fahnen geschrieben, sie bekämpfte nebenbei ein 1764 vom Preußen-König Friedrich dem Großen (aus Gründen des Brandschutzes) erlassenes Rauchverbot auf öffentlichen Plätzen – und hatte wenigstens mit diesem Anliegen Erfolg.

Es durfte wieder fast überall geraucht werden; als die Demokratie 70 Jahre später ebenfalls obsiegte, rauchten bald rund 80 Prozent der Männer in der Weimarer Republik (und jede fünfte Frau). "Des Lebens bestem Teil" frönte man in Restaurants, aber auch in Warenhäusern, Straßenbahnen, Amtsstuben und Hörsälen, für Jahrzehnte, auch wenn Nazi-Deutschland und sein auch als Nichtraucher militanter Diktator den Tabak als "Rache des roten Mannes" zu bekämpfen versuchten.

Wer in den 1980er-Jahren seinen Zivildienst im Krankenhaus leistete, lernte das Rauchen von den Krankenschwestern und sah selbst Chefärzte nur schemenhaft hinter einem dichten Nikotinnebel. Noch in den 1990-ern war es üblich, mündliche Prüfungen an der Philosophischen Fakultät der Erlanger Universität auf drei Zigarettenlängen mit den Professoren abzulegen.

Heute würde das vermutlich sieben Jahre Kerker bedeuten, und blickt man auf die Geschichte der "philosophischen Alltagsübung" (wie das Philosophie-Magazin das Rauchen noch im Frühjahr 2019 nannte), so mutet es schon unvorstellbar an, dass sich frühe Bedenken auch auf die Idee bezogen, das Rauchen könne doch nicht ganz so gesund sein, wie Fachleute annahmen. Dem Nikotin wurde allerhand heilsame Wirkung zugesprochen, wohlgemerkt von Medizinern, die es, dosiert, ausdrücklich empfahlen, gegen Herz-, Kreislauf- und Menstruationsbeschwerden zum Beispiel.


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Aber auch Philosophen sahen im Qualm den Geist der Zeit. Raucher bliesen die Ideale der Französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – in die Luft, es war ein klassenübergreifendes Vergnügen des Adels, der Bauern und der Landsknechte und sogar ein Vorbote der Gleichberechtigung. Spätere rauchende Ikonen: Humphrey Bogart und James Dean, Marlene Dietrich und Claudia Cardinale.

Selbst der Klerus paffte mit, Papst Urban VIII. musste schon 1642 seine schmauchenden Priester maßregeln, und noch anlässlich der Wahl des Papstes Franziskus vor sieben Jahren erfuhr die Öffentlichkeit von Vatikan-Sprecher Federico Lombardi, dass weißer Rauch nicht nur aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufstieg. Die Raucher im Kardinalskollegium seien, sagte Lombardi, ihrem Laster "gesittet" nachgekommen.


Ein Paradies für Raucher: Deutschland hofiert die Tabakkonzerne


Über die Solidarität unter Rauchern, die sich mit Zigaretten und der Feuergabe aushelfen, schwärmte – lange nach dem deutschen Rauchverbot von 2010 – ein vom Deutschlandfunk porträtierter ägyptischer Besucher. So aufgeschlossen und herzlich wie die vor die Tür verbannten Raucher begegneten sich Deutsche sonst nicht, sagte jener Hany Ghanem, und: "Das finde ich für deutsche Verhältnisse so einmalig, dass ich schon überlegt habe, mit dem Rauchen anzufangen."

Die Aneignung von Sinneseindrücken über ein kontemplatives Rauchen schaffte es in die Kunsttheorie, aber auch weit darüber hinaus, ein anderes weltbekanntes, intim praktiziertes Vergnügen bedurfte der sprichwörtlich gewordenen "Zigarette danach" – manchmal brannten dann Betten, aber dass alles aus ganz anderen Gründen tödlich enden konnte, wusste man da schon längst (auch wenn Thomas Mann den Lungenkrebs überlebte und der Altkanzler Helmut Schmidt, Europas letzter großer Raucher, sich unbeschadet durch fast ein Jahrhundert qualmen durfte).

Bis zu endgültigen Rauchverboten dauerte es trotzdem noch ein wenig, heute käme indes niemand mehr auf die Idee, dagegen zu protestieren. Der Siegeszug des liberalen Humanismus, seine Betonung der Einzigartigkeit des Individuums, huldigt der Gesundheit und Selbstoptimierung, Verbote und Verordnungen haben dabei an Popularität erstaunlich gewonnen – und heiter zelebrierte Unvernunft hat in einer auf Effektivität ausgerichteten Gesellschaft jeden Charme verloren.

Existenzialistische Raucher wie Camus oder Sartre würden heute in die Nähe von Asozialen gerückt. Nach rund einem halben Jahrtausend ist die Zeit des Rauchens jäh und endgültig beendet, wobei Verbote nicht der Grund dafür, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels sind.

Wer davon am meisten profitiert? Durchaus nicht die Nichtraucher, diesen naheliegenden Gedanken hat der Schriftsteller Max Goldt formuliert, es sind natürlich die Raucher, die ohne Mühe weniger oder gar nicht mehr rauchen. Oder nur hin und wieder heimlich – zum Beispiel auf der Dachterrasse dieses Verlagshauses, die, manchmal, ein kleines Refugium der Freiheit und Toleranz ist. Gerne übrigens gesellen sich dann Nichtraucher hinzu. Rauchverbote – ein Segen für alle.

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