365-Euro-Ticket: Der SPD-Vorstoß geht an Realität vorbei

5.9.2019, 17:02 Uhr
Tausende nutzen die Nürnberger U-Bahn Tag für Tag.

© dpa Tausende nutzen die Nürnberger U-Bahn Tag für Tag.

"Mobilität ist ein Grundrecht jedes Einzelnen", donnert es aus der SPD heraus, und deswegen muss es her, das 365-Euro-Ticket. Mehr ÖPNV, weniger mit dem Auto fahren, und das Klima ist gerettet. So einfach kann Politik sein - wieso ist da vorher bloß keiner draufgekommen?


Bundestags-SPD will 365-Euro-Ticket unterstützen


Wenn es doch nur so simpel wäre. Ist es aber nicht. Mit ihrem pauschalen Ruf nach dem 365-Euro-Ticket macht es sich die SPD zu einfach. Zuallererst sind die Angebote im ÖPNV in Deutschlands Kommunen hochgradig unterschiedlich entwickelt. In den Großstädten, wo Busse, Straßenbahnen oder die U-Bahn eng getaktet sind, hätte ein solches Ticket eventuell schon seinen Reiz. Aber was bringt ein finanziell subventioniertes Angebot einem Fahrgast in Brandenburg oder in der ländlichen Oberpfalz, wo der Bus nur zweimal am Tag vorbeikommt?

Autos hatten über Jahrzehnte Vorrang

Obendrein ist das monetäre Argument eher schwach - vielerorts gibt es bereits finanziell attraktive ÖPNV-Angebote, die teils sogar schon unter der 365-Euro-Schwelle liegen. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob die SPD hier nicht den Hebel an der falschen Stelle ansetzt. Um eine gewisse Anzahl an Autofahrern zum Umsteigen in Bahn und Bus zu bewegen, muss nicht zwingend der Fahrpreis runter. Viel wichtiger wäre es, das Angebot attraktiver zu machen, sprich mehr Strecken zu bedienen und die Frequenz zu erhöhen. Anders formuliert: Niemand will gerne 25 Minuten warten, um sich dann in einen proppevollen Bus zu quetschen.

 

Was uns zum Stichwort "Verkehrswende" bringt. Jahrzehntelang hatten das Auto und der Ausbau des Straßennetzes Vorrang. Das war politischer Konsens. Und nun, da die Grünen bei Wahlen vielerorts jenseits der 25-Prozent-Marke landen, entdecken auch die anderen Parteien, die stets ihre schützende Hand über die Autolobby hielten, ihr ökologisches Gewissen. Und wollen mit dem 365-Euro-Ticket ein Pflaster auf eine Wunde kleben, die sie selbst zu verantworten haben.

So geht es aber nicht. Wer es ernst meint mit dem Klimaschutz, der muss die Verkehrswende herbeiführen und dafür sorgen, dass alle Menschen im Land auch OHNE Auto problemlos mobil sein können, sei es mit dem Fahrrad (Fahrradwege ausbauen) oder mit Bus und Bahn. Vielerorts wären die Bürger ja schon froh, wenn überhaupt noch ein Linienbus verkehren würde, das Netz wurde vor allem im ländlichen Raum über die Jahre massiv ausgedünnt - "hat ja eh jeder ein Auto", so die Denke dahinter. Dass viele keine andere Wahl haben, weil eben kein Bus mehr fährt, wurde geflissentlich übersehen.

Also, liebe SPD, nochmal zum Mitschreiben: "Was nutzt eine Bus- oder Zugfahrt für einen Euro, wenn gar kein Bus oder Zug fährt?" Richtig, rein gar nichts. An diesem Punkt wäre anzusetzen, die Preisfrage ist sekundär.

Verwandte Themen


20 Kommentare