Alle Millionäre sollen zahlen: Verband fordert Vermögensabgabe

12.8.2020, 16:20 Uhr
Ein Prozent ihres Vermögens sollen Wohlhabende zukünftig abgeben müssen, wenn es nach dem VdK geht.

© Monika Skolimowska, dpa Ein Prozent ihres Vermögens sollen Wohlhabende zukünftig abgeben müssen, wenn es nach dem VdK geht.

Eigentlich geht es um die sozialen Folgen der Corona-Krise. Um die vielen Familien, die Angehörige zuhause pflegen und sich plötzlich allein gelassen fühlten. Weil die Tagespflegestätten schließen mussten. Weil die Hilfskräfte aus dem Ausland nicht mehr einreisen durften. Weil die daheim Pflegenden erst ihren Urlaub aufbrauchten, dann die Überstunden, später unbezahlten Urlaub nehmen mussten, bis ihnen das Geld ausging. Weil sie ihre Angehörigen schlecht allein lassen konnten.

Es sei, sagt Ulrike Mascher, bayerische Chefin des VdK, "wie unter einem Brennglas": Die Probleme flackerten gefährlich auf, doch neu seien sie nicht. "Pflegekräftemangel, schlechte Ausstattung und allgemeine Überlastung des Pflegesystems - all das war schon längst Alltag in deutschen Kliniken und vor allem in den deutschen Pflegeheimen." Corona habe nur den Blick darauf gelenkt. "Jetzt müssen wir aufpassen, dass das kein Flächenbrand wird."

Die Sorge wächst beim VdK als größtem Sozialverband in der Bundesrepublik, dass dies erst der Anfang einer tiefen Krise des Sozialstaates sein könnte. Es mehrten sich die Stimmen, sagt Verena Bentele, die bei den Sozialausgaben sparen und so die Kosten der Corona-Krise zu Lasten der Schwächsten wieder hereinholen wollten. Die 38-Jährige spricht als Präsidentin des deutschen VdK für rund zwei Millionen Mitglieder. Jetzt stellt sie zwei radikale Forderungen auf.

Das System neu denken

Geht es nach der ehemaligen zwölffachen Paralympic-Siegerin im Biathlon, müssen Wohlsituierte und reiche Unternehmen bald ein Prozent ihres Vermögens an den Staat abtreten. Bentele schwebt dabei ein Freibetrag von einer Million Euro vor. Eigengenutzte Immobilien bleiben demnach ebenfalls außen vor. Die Abgabe sei einmalig, sagt sie, und rechtlich machbar, weil im Grundgesetz zugelassen. 1952 habe der Staat das schon einmal getan, als er die Folgekosten des Zweiten Weltkrieges abdecken musste.


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Das sei nur fair, findet Verena Bentele. "Ein solcher Akt der Solidarität ist längst überfällig." Denn die eine Hälfte der Bevölkerung besitze 99 Prozent des deutschen Vermögens, die andere entsprechend nur ein Prozent. Der Schritt könnte folglich für mehr Gerechtigkeit sorgen und zudem Milliarden in die Kassen spülen.

Nach Benteles Ansicht schont der Staat in Wahrheit die Vermögenden. Die von manchen geforderte Vermögensteuer kommt nicht. Große Erbschaften werden vergleichsweise niedrig besteuert. Die Transaktionssteuer lässt weiter auf sich warten. Und den Online-Giganten wie Amazon oder Google droht weiter keine Digitalsteuer.

Alle sollen zahlen

Verena Bentele allerdings geht einen großen Schritt weiter. Sie greift auch das ganze System der Sozialversicherungen als ungerecht an. Dass die Sozialausgaben wegen Corona in den kommenden Monaten erheblich ansteigen dürften, gilt als ausgemacht. Viele Firmen haben sich noch in die Kurzarbeit gerettet. Trotzdem steigt die Arbeitslosenrate im Bund wie im Freistaat bereits spürbar an. In Bayern sogar deutlicher als im Bund.

Gleichzeitig stürzen immer mehr Menschen in die Sozialhilfe ab, auch Ältere und Pflegebedürftige. Den einen reicht ihre Rente nicht zum Überleben, die anderen müssen für ihre Pflegedienste und Pflegeplätze immense Summen aufbieten, die sie nicht stemmen können. Das müsse die Politik endlich ändern, fordert der VdK.

Sein Modell: Ein Sozialversicherungssystem für alle. Alle müssten in die Rentenversicherung einzahlen, auch Selbstständige etwa, Beamte oder Politiker. Daneben müsse die gesetzliche Krankenversicherung endlich verpflichtend für alle werden. Bislang ist etwa jeder Zehnte in einer privaten Krankenversicherung, rund ein Prozent der Bevölkerung ist gar nicht abgesichert. Schließlich soll, so fordert es Verena Bentele, auch die Pflegeversicherung zur Pflegevollversicherung umgebaut werden. Pflegebedürftigkeit dürfe "nicht zum Armutsrisiko werden", sagt sie.

Am Ende müsse "eine Sozialversicherung für alle stehen. Auch das ist gelebte gesellschaftliche Solidarität." Dass sie mit ihren Forderungen im Corona-Sommer 2020 durchaus anecken wird, ist ihr offenkundig klar. "Dieser Sommer ist gerade richtig", sagt sie, "um sozialpolitisch heiße Themen voranzutreiben."

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