Angela Merkel hat eigentlich ein Spitzenzeugnis verdient

6.12.2018, 18:43 Uhr
Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU gibt Angela Merkel den Parteivorsitz auf.

© dpa Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU gibt Angela Merkel den Parteivorsitz auf.

Mit einem Friedrich Merz an der Spitze der CDU wird es schneller gehen, mit Annegret Kramp-Karrenbauer etwas (!) langsamer. Zeit für eine erste Bilanz der Merkelschen Jahre.

Wenn man nur den Wirtschaftsdaten (Arbeitslosenzahlen, Konjunktur, Steuereinnahmen, Entwicklung der Staatsverschuldung) nach ginge, was erstaunlich wenige tun, dann müsste man der 64-Jährigen ein Spitzenzeugnis ausstellen. In den meisten Betrachtungen taucht der Aspekt, dass es Deutschland so gut geht wie selten zuvor, kaum auf. Das ist nicht ganz fair.

Stattdessen: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge. Als ob es kein anderes Thema gäbe. Hier ist das Verhalten Merkels tatsächlich sehr zwiespältig. Der humanitäre Akt im Sommer/Herbst 2015 war nötig und angemessen, der anschließende Kontrollverlust und die Verweigerung, Fehler einzugestehen, veränderten die Parteienlandschaft. Merkel muss mit dem Vorwurf leben, erhebliche Verantwortung für den Erfolg AfD zu tragen, selbst wenn sie inzwischen de facto eine ziemlich rigorose Flüchtlingspolitik betreibt.

Dringende Modernisierung

Auf der Habenseite steht etwas anderes: Die Union erlebte unter Merkel eine Modernisierung, die dringend nötig war. Frauen, Großstädter und junge Menschen hatten erhebliche Probleme mit der CDU alten Schlages. Das Gesellschaftsbild der Partei entsprach häufig noch den 50er Jahren. So konnte es nicht weitergehen und die Vorsitzende hat auch konsequent dafür gesorgt, dass es nicht so weitergeht. Vielleicht in manchen Bereichen zu schnell und zu wenig moderierend, aber der Wandel war (mit ihren eigenen Worten) "alternativlos".

Als Person war die CDU-Chefin in vielerlei Hinsicht ein anderer Typ als ihre ausschließlich männlichen Vorgänger. Sie bewies, dass Auseinandersetzungen nicht immer in Gestalt von Macho-Gehabe ausgetragen werden müssen. In ihrer beharrlichen, aber nicht aufdringlichen Art kam sie mit national wie international schwierigen Männern zurecht — Berlusconi, Putin, Trump. Bei solchen Treffen konnte man als Deutscher stolz sein auf die unprätentiöse Art von Angela Merkel.

Bei ihr scheint es auch ziemlich ausgeschlossen, dass sie wie ein Gerhard Schröder versucht, ihre politische Laufbahn im Ruhestand noch zu vergolden. Ihr Abschied vom Parteivorsitz kam — gerade noch — so rechtzeitig, dass man von einer freiwilligen Entscheidung sprechen kann. Helmut Kohl hatte diesen Zeitpunkt um mehrere Jahre verpasst und wurde zur tragischen Figur. Manches spricht dafür, dass wir uns schon in wenigen Jahren zumindest einige Eigenschaften der Frau, derer wir jetzt überdrüssig sind, zurückwünschen werden.

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