Arzt bestätigt Triage: Klinik in Deutschland musste zwischen Patienten entscheiden

17.12.2020, 20:48 Uhr
Die Corona-Lage in Deutschlands Krtankenhäusern ist sehr angespannt.

© picture alliance / Friso Gentsch/dpa Die Corona-Lage in Deutschlands Krtankenhäusern ist sehr angespannt.

Am Tag, als Deutschland in den zweiten Lockdown geht und einen traurigen Höchstwert von 952 Corona-Toten meldet, wird in Sachsen ein Schreckenswort laut: Triage. Berichten zufolge hat ein Mediziner aus Zittau am Dienstagabend in einem Online-Forum davon gesprochen, dass am Klinikum Oberlausitzer Bergland schon mehrfach triagiert werden musste, weil nicht genügend Beatmungsbetten zur Verfügung stehen. Triage bedeutet, dass Ärzte bei knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. Die Klinik bestätigt oder dementiert die Schilderungen des Arztes am Mittwoch nicht ausdrücklich. Stattdessen betont sie: Die Lage ist kritisch.

Dem Nachrichtenportal t-online hatte der Ärztliche Direktor des Klinikum, Mathias Mengel, gesagt: "Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht." Es werde versucht, die Patienten, für die es keine Versorgung gibt, in eine andere Klinik zu verlegen. "Aber wir sind im Epizentrum, manche Häuser nehmen gar nicht mehr auf." Die Entscheidung könne auch bedeuten, dass es für einen nicht verlegungsfähigen Patienten dann keine entsprechende Hilfe mehr gebe.


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Der Landkreis Görlitz, in dem Zittau liegt, ist einer der Corona-Hotspots in Deutschland. Das sächsische Gesundheitsministerium beziffert die Sieben-Tages-Inzidenz, also den Wert an Neuerkrankungen je 100 000 Einwohner binnen einer Woche, am Mittwoch auf 532,6. In ganz Sachsen sind es 407,0, was mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt ist. Ministerin Petra Köpping sieht die Äußerungen des Arztes als Warnruf: Man habe in Zittau einen "Weckruf" gestartet, die Verantwortlichen wollten zeigen: "Wir wissen bald nicht mehr, wie wir die Patienten versorgen sollen", erklärt die SPD-Politikerin.

Aber Triage in Sachsen? Es werden Erinnerungen an das Frühjahr wach, als im italienischen Bergamo die Kliniken über ihre Belastungsgrenzen gerieten und Corona-Patienten nicht mehr helfen konnten. Auch Sachsen nahm damals Patienten aus Italien auf, um das Land zu unterstützen.

"Verzicht auf Behandlung"

In Deutschland ist die Triage umstritten. "Das liegt vor allem daran, dass sie gesetzlich nicht geregelt ist", sagt Medizinethiker Dieter Birnbacher. Seiner Meinung nach sollten Triage-Entscheidungen auf zwei Kriterien beruhen: "Erstens muss ein gleicher Zugang für alle gelten, unabhängig vom Alter. Aber auch die klinische Erfolgsaussicht einer Behandlung muss berücksichtigt werden". Patienten, deren Erfolgsaussichten gering seien, würden also benachteiligt behandelt.


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Kritikern, die die Triage als Straftat erachten, entgegnet Birnbacher, dass es sich nicht um aktive Tötung handle. "Hier findet ja lediglich der Verzicht auf eine Behandlung statt. Und zwar nicht aus dem Grunde, dass man konkret Andere schützen will. "Es geht darum, knappe Ressourcen so einzusetzen, dass ein Maximum an Lebenszeit dadurch gerettet wird", so der Experte.

Eine Triage-Entscheidung sei oft hoch emotional und müsse "in kürzester Zeit" getroffen werden, weiß auch der Leiter der Geschäftsstelle der Akademie für Ethik in der Medizin, Alfred Simon. Daher müssten solche Entscheidungen im Team getroffen werden. "Keine Einzelentscheidungen", fordert er. In vielen Kliniken gebe es dafür ein Priorisierungskomitee - unter anderem in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). "Das Priorisierungskomitee ist hier interdisziplinär zusammengesetzt und besteht aus etwa acht Leuten – darunter Intensivärzte aus verschiedenen Bereichen wie Neurologie, Kardiologie und auch Vertretern des Ethikkomitees", erklärt Simon.

Aktuell noch Kapazitäten auf den deutschen Intensivstationen

Damit folgt das UMG einer Empfehlung der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). "Grundsätzlich gilt: Die Entscheidung bei der Triage sollte in einem Team aus mindestens drei Experten mit unterschiedlichen Blickwinkeln gefällt werden", heißt es auf der Webseite der Fachgesellschaft.


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Trotz einer starken Belastung des Gesundheitssystems in der Pandemie sehen die Divi und weitere Experten derzeit aktuell noch Kapazitäten auf den deutschen Intensivstationen. Man stehe derzeit nicht an dem Punkt, Priorisierungen von Patienten vornehmen zu müssen, erklären die Divi und die Fachgruppe Intensivmedizin, Infektiologie und Notfallmedizin beim Robert Koch-Institut (RKI) in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Auch für den Fall einer möglichen regionalen Überlastung von Kliniken sei bereits seit einiger Zeit geregelt, dass Patienten innerhalb Deutschlands verlegt werden können, betonen sie. Und weil spätestens ab Montag durch die Feiertage keine planbaren OPs mehr durchgeführt würden, sei mit Entlastung für die Intensivstationen zu rechnen.

Krankenhäuser laufen "klar in eine Überlastung hinein"

Ob in Zittau Corona-Patienten nicht mehr geholfen werden konnte oder es - vorerst noch - nur um die Entscheidung geht, dass Patienten in andere Häuser verlegt werden müssen, bleibt zunächst vage. Das Oberlausitzer Bergland-Klinikum erklärt, dass alle Patienten, die in seine beiden Krankenhäuser kommen, "die bestmögliche Therapie" erhielten. Sollten die Corona-Stationen keine Patienten mehr aufnehmen können, würden die Erkrankten in umliegende Krankenhäuser geflogen. Die Klinik fügt hinzu: Sollte das auch nicht mehr möglich sein, verschärfe sich die ohnehin angespannte Situation deutlich.

Koordiniert werden die Kapazitäten in Ostsachsen von einer Krankenhausleitstelle, die am Uniklinikum Dresden angesiedelt ist. Sie wurde geschaffen, um eine Situation wie in Bergamo zu verhindern. In den vergangenen Tagen hätten "verstärkt" Patienten aus den Landkreisen Bautzen und Görlitz in entferntere Krankenhäuser verlegt werden müssen, sagt der Chef der Leitstelle, Christian Kleber.


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Später betont die Leitstelle: Kein Krankenhaus in Sachsen sei bisher in der Situation eine Triage vornehmen zu müssen, bei der es darum geht, dass möglichst viele Patienten überleben - um den Preis, das anderen Patienten sterben müssten. Es gebe noch freie Intensiv- und Normalstationsbetten in Sachsen.

Allerdings liefen die Krankenhäuser in Ost- und Westsachsen "klar in eine Überlastung hinein, die zum Kollaps der Versorgung führen kann", wenn die Zahl der Neuinfektionen nicht sinkt. Bisher hätten Patienten nur in Einzelfällen verlegt werden müssen. Leitstellen-Chef Kleber fügt jedoch hinzu: "Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl dieser Fälle in den kommenden Tagen noch weiter zunehmen wird."

Dieser Artikel vom 16.12.2020 15.48 Uhr wurde am 17.12.2020 um 20.36 Uhr aktualisiert.

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