Atomausstieg bis 2022 - wie es dazu kam

9.6.2011, 12:54 Uhr

Juni 2000: Die damalige rot-grüne Bundesregierung handelt mit den Energiekonzernen den sogenannten Atomkonsens aus. Dieser sieht vor, dass alle Kernkraftwerke bis etwa 2021 abgeschaltet werden. Es hagelt heftige Kritik von der Opposition. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel kündigt an, den Atomkonsens im Falle eines Machtwechsels wieder kippen zu wollen.

Dezember 2007: Die CDU beschließt auf ihrem Parteitag in Hannover ein neues Grundsatzprogramm. „Auf absehbare Zeit kann auf den Beitrag der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland nicht verzichtet werden“, heißt es darin. Daher werde eine Laufzeitverlängerung für die deutschen Kernkraftwerke angestrebt. Vorrangig sei aber, das „größtmögliche Sicherheitsniveau jeder Anlage“ zu gewährleisten.

November 2010: Die schwarz-gelbe Bundesregierung setzt eine Verlängerung der Laufzeiten durch. Das neue Energiekonzept sieht vor, dass die Laufzeit der 17 Atomkraftwerke in Deutschland im Schnitt um zwölf Jahre verlängert wird. Einige sollten somit noch Jahrzehnte laufen. Die Betreiber behalten das Recht, Produktionszeiten von alten auf neue Kraftwerke zu übertragen. Zu erwarten war deshalb, dass der letzte Reaktor um das Jahr 2040 vom Netz geht. Kanzlerin Merkel hat sich zuvor für eine Verlängerung von 10 bis 15 Jahren ausgesprochen. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) favorisierte eine geringere Laufzeitverlängerung von acht Jahren. Die Opposition spricht von einem „Deal mit der Atomlobby“ und sagt einen „neuen gesellschaftlichen Großkonflikt“ voraus.

14. März 2011: Die Bundesregierung vollzieht nach dem Reaktorunglück in Japan eine Kehrtwende in der Atompolitik. Angela Merkel verkündet die dreimonatige Aussetzung der Laufzeitverlängerung, um die 17 deutschen Kraftwerke eine Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen – nicht einmal ein halbes Jahr, nachdem die CDU die Reaktoren für sicher befunden hatte. Ob die inzwischen abgeschalteten acht älteren Meiler je wieder ans Netz gehen, bleibt zunächst fraglich.

26. März 2011: Mehr als 200.000 Menschen demonstrieren bei vier Großdemonstrationen in Berlin, Hamburg, Köln und München für einen Ausstieg aus der Kernkraftnutzung. Die Veranstalter sprechen von den bisher größten Anti-Atom-Protesten in Deutschland. Die Demonstrationen stehen unter dem Motto „Fukushima mahnt: Alle AKWs abschalten“. Dazu aufgerufen hat ein Bündnis aus Anti-Atom-Initiativen, Umweltverbänden, Friedensorganisationen und Gewerkschaften. Auch Politiker der Oppositionsparteien im Bundestag reihen sich in die Demonstrationszüge ein.

31. März 2011: Die vom Bundesumweltministerium mit der Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke beauftragte Reaktorsicherheitskommission stellt ihren Anforderungskatalog vor. Geprüft werden soll die Widerstandsfähigkeit der Meiler bei unwahrscheinlichen Ereignissen wie hohe Tsunami-Wellen, starke Erdbeben und andere Klimaeinflüsse. Auch Auswirkungen von Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen auf die Reaktoren sollen berechnet werden. Röttgen sagt, nach der Katastrophe in Fukushima müssten die bisherigen Sicherheitsanforderungen neu hinterfragt werden.

16. Mai 2011: Der Vorsitzende der Reaktorsicherheitskommission, Rudolf Wieland, stellt die Ergebnisse des Sicherheitschecks vor. Bei der Überprüfung hat die Kommission Mängel festgestellt. So sei keines der Atomkraftwerke gegen einen Absturz großer Verkehrsflugzeuge ausreichend gesichert, sagt Umweltminister Röttgen. Sieben ältere Kraftwerke seien auch gegen den Absturz kleiner Flugzeuge nicht oder wenig geschützt. Allerdings hält er die Sicherheitsprobleme für nicht so schlimm, dass ein Sofortausstieg aus der Atomkraft nötig wäre. Die endgültige Stilllegung der ältesten Meiler wird aber immer wahrscheinlicher.

29. Mai 2011: Die Koalition aus FDP und Union einigt sich auf die Abschaltung aller deutschen Kernkraftwerke bis 2022. Die sieben ältesten Atommeiler und der Reaktor Krümmel sollen abgeschaltet bleiben. Sechs weitere Reaktoren sollen bis 2021 vom Netz, die modernsten drei Kraftwerke dann bis spätestens 2022. Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses sehen zudem vor, einen der stillgelegten Altmeiler bis 2013 als sogenannte Kaltreserve für eventuelle Engpässe bereit zu halten, was von Opposition und Umweltverbänden heftig kritisiert wird.

30. Mai 2011: Die Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“ legt offiziell ihren Bericht vor, welcher der Bundesregierung als Grundlage für die geplante Energiewende dienen soll. Das von der Bundesregierung eingesetzte Gremium hält einen Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb eines Jahrzehnts für möglich.

3. Juni 2011: Die Bundesländer widersetzen sich den Koalitionsbeschlüssen und fordern einen stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022. Für jeden Standort solle es ein verbindliches Enddatum geben. Der Ausstieg soll aus Sicht der Ministerpräsidenten unumkehrbar sein. Eine „Kaltreserve“, bei der einer der acht abgeschalteten Altreaktoren vorgehalten wird, lehnen die Länder ab. Sie setzen hingegen auf den Ausbau der Energieversorgung mit Kohle und Gas. Merkel lenkt ein: Es werde nicht eine Abschaltung der neun noch laufenden Reaktoren nur in den Jahren 2021 und 2022 geben, sagt die CDU-Chefin nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten.

6. Juni 2011: Das Bundeskabinett beschließt die Gesetze für den geplanten Atomausstieg bis 2022. Damit können die Beratungen in Bundestag und Bundesrat beginnen. Bis 8. Juli sollen diese abgeschlossen sein. Kernstück des umfangreichen Gesetzespakets ist die Novelle des Atomgesetzes, das die schrittweise Abschaltung der 17 deutschen Reaktoren regelt. Acht davon – die sieben ältesten Meiler und das Atomkraftwerk Krümmel – sind bereits abgeschaltet und sollen sofort dauerhaft stillgelegt werden, die übrigen zwischen 2015 und 2022. Darüber hinaus beschließt das Kabinett weitere Entwürfe, unter anderem zum Ausbau der erneuerbaren Energien und des Stromnetzes.

9. Juni 2011: Die Abgeordneten beraten im Bundestag über das Gesetzespaket. Merkel verteidigt die geplante Energiewende. Sie habe zur Kenntnis nehmen müssen, „dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können“, sagt die Kanzlerin in einer Regierungserklärung. Sie verteidigte auch die Entscheidung, eines der älteren Kraftwerke in den beiden nächsten Wintern in Reserve zu halten. „Auch hier ziehen wir eine Lehre aus Wahrscheinlichkeitsannahmen nach Fukushima“, sagt sie. Es gebe ein gewisses Restrisiko für einen Blackout.

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