Baerbock und Laschet: Heftige Reaktionen auf beide Kanzlerkandidaten

30.4.2021, 05:56 Uhr
Sowohl Armin Laschet als auch Annalena Baerbock 

© Frederic Kern via www.imago-images.de, imago images/Future Image Sowohl Armin Laschet als auch Annalena Baerbock 

Die Nominierung von Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Das ist nur allzu verständlich. Zum ersten Mal haben die Grünen in Deutschland eine realistische Aussicht, die Regierungschefin zu stellen. Und das nach 72 Jahren, in denen ausschließlich Personen aus CDU und SPD dieses Amt bekleideten. Von großer Begeisterung bis zum Androhen der Auswanderung war nach Baerbocks Kür alles dabei. Warum auch nicht. Das muss jede(r) für sich selbst entscheiden.

Weniger angemessen war etwas anderes: Die Kandidatin wurde oft auf äußere Merkmale reduziert und auf eine Weise abgeurteilt, wie man das eigentlich längst als überholt betrachtet hatte. Zum Beispiel auf ihr Alter und ihre Rolle als Mutter zweier minderjähriger Kinder. Die 50er Jahre lassen grüßen. Nach heutiger Auffassung muss man Gott sei Dank weder kurz vor dem gesetzlichen Rentenalter stehen noch ausschließlich erwachsene Kinder haben, um eine gute Kanzlerin sein zu können.

An der Stelle werden manche protestieren: Aber sie hat doch noch nie ein Ministerium geleitet oder als Ministerpräsidentin die Regierungsgeschäfte eines Bundeslandes geführt. Genau das ist aber hier gar nicht gemeint. Mangelnde Führungserfahrung kann man tatsächlich kritisieren - im Gegensatz zum Geburtsjahrgang. Sebastian Kurz (34), Österreichs Kanzler, war bei Amtsantritt erheblich jünger als Baerbock, hatte aber schon sechs Jahre als Staatssekretär und Minister hinter sich. Lebensalter und Erfahrung sind also nicht identisch.

Berechtigte Debatte über Regierungserfahrung

Ob und wie wichtig Regierungspraxis ist, das wird im Wahlkampf zu Recht ausführlich diskutiert werden. Es ist nicht unfair, wenn man das anspricht. Selbst die in dieser Hinsicht unverdächtige linke Tageszeitung taz kommentierte: "Ist es sexistisch, junge Politikerinnen kritisch nach ihrer Kompetenz zu befragen? Keineswegs." Es sei geradezu "frauenfeindlich", wenn man aus Rücksicht auf das Geschlecht darauf verzichte.

Ob der Aspekt der Führungserfahrung am Ende wahlentscheidend ist, mag jeder für sich selbst entscheiden. Baerbock-Fans dürfen in dieser Debatte gerne darauf hinweisen, dass Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern (40) ebenfalls zuvor nicht Ministerin war und Finnlands Ministerpräsidentin Sanna Marin (35) gerade mal sechs Monate als Verkehrsministerin hinter sich hatte. Laschet- und Scholz-Fans werden mit den zahlreichen Ämtern kontern, die diese im Laufe der Jahrzehnte gesammelt haben.

Komplett unterirdisch ist das Mutter-Argument. Ein junger Mann (!) mit großer Reichweite merkte auf Twitter paternalistisch an "Man kann eine gute Mutter für kleine Kinder sein oder eine gute Bundeskanzlerin. Beides zusammen ist zeitlich unmöglich". Welch eine Dreistigkeit. Welch eine Einmischung in das Leben einer fremden Familie.

Privatsache der Familie Baerbock

Es ist alleine Sache der Baerbocks, zu entscheiden, wie sie damit umgehen. Sie werden es sich schon überlegt haben und sie hatten außerdem in den zurückliegenden Jahren Gelegenheit, das einzuüben. Denn da war die Ehefrau und Mutter ja immerhin auch schon eine Spitzenpolitikerin mit vollem Terminkalender.

Männliche Kanzler wie Willy Brandt und Helmut Kohl wurden im Laufe ihrer politischen Karriere nie dazu vernommen, wie sie das eigentlich mit ihren schulpflichtigen Kindern hinbekommen. Da war die Öffentlichkeit in der Regel schon zufrieden, wenn es jeden Sommer ein paar Urlaubsfotos gab, die eine mutmaßlich glückliche Familie am Badestrand oder beim Brettspiel zeigten.

Frauen können es bestimmten traditionalistischen Gruppen in der Gesellschaft niemals recht machen. Bei Angela Merkel wurde gerade in jüngerer Zeit, im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, immer wieder damit argumentiert, sie habe ja keine eigenen Kinder. Sie könne also gar nicht wissen, was Familien derzeit alles erleiden müssen. Deswegen treffe sie so viele falsche Entscheidungen. Annalena Baerbock kann man genau das nicht vorwerfen, ihr sind die Probleme des Homeschoolings aus eigener Anschauung bestens vertraut. Bei ihr heißt es statt dessen, sie solle sich lieber um ihre Kinder kümmern.

Witze über die Körpergröße

Alter, Geschlecht und Mutterschaft der grünen Kanzlerkandidatin triggern offensichtlich viele Menschen stark. Von einem "Trigger" spricht man in der Psychologie, wenn bestimmte Ereignisse und Zuschreibungen einen unreflektierten Schlüsselreiz auslösen. Wenn man sich also nicht mehr wirklich mit einer Person und ihren Fähigkeiten auseinandersetzt, sondern alleine schon ein bestimmtes äußerliches Moment ausreicht, um jemanden abschließend in eine Schublade zu stecken. Das ist natürlich kein Phänomen, von dem nur Annalena Baerbock betroffen wäre.

In eine ähnliche Richtung geht es, um parteipolitisch gerecht zu sein, wenn der 1,70 Meter große Armin Laschet mit Hinweis auf seine Körpergröße lächerlich gemacht wird. Der Grüne Jürgen Trittin bezeichnete ihn auf Twitter als "Hobbit", wörtlich schrieb er "Ein Hobbit wird giftig". Zur Erklärung: Mit diesem Begriff aus den Fantasy-Romanen von J.R.R. Tolkien sind sogenannte Halblinge gemeint, märchenhafte, menschenhafte Wesen von einer Größe zwischen 60 und 120 Zentimetern.

Ein anderer merkte in den sozialen Netzwerken abwertend an, Laschet sei "der kleine Nachfahre von Karl dem Großen". Klein ist ein Eigenschaftswort, das ungewöhnlich oft im Zusammenhang mit dem NRW-Ministerpräsidenten auftaucht - obwohl es, selbstverständlich, mit seiner Qualifikation nicht das Geringste zu tun haben kann. Wäre es so, hätte man nämlich gleich Friedrich Merz - laut Wikipedia 1,98 Meter groß - ohne Wahl zum Kanzler ausrufen können.

"Das Laschet" und "Kohls Mädchen"

Auch die Bezeichnung "das Laschet" wurde als verächtliche Beschreibung des 60-Jährigen verwendet. Wir sollen dabei an ein geschlechtsloses Etwas, mehr Sache als Mensch, denken. Bei der amtierenden Kanzlerin hatte es immer wieder "das Merkel" geheißen - dieselbe Masche. Eine andere abwertende Formulierung über sie - "Kohls Mädchen" - hing ihr noch nach, als sie längst Regierungschefin geworden war. Bei Annalena Baerbock hieß es kurz nach der Nominierung auf dem Twitter-Account der Tagesthemen "Es ist ein Mädchen!". Später wurde der Beitrag gelöscht. Was bleibt, ist das Motiv der "Verkleinerung" von Frauen.

Annalena Baerbock erlebt seit ihrer Nominierung übrigens nicht nur unfaire Kritik und unpassende Zuschreibungen, sondern auch eine manchmal befremdliche Begeisterung. Wenn zum Beispiel das Magazin Stern auf seiner Titelseite die strahlende 40-Jährige abbildet und dazu die Schlagzeile verfasst "Endlich anders", dann hat das nicht mehr viel mit unabhängigem Journalismus zu tun. Das ist unzulässige Propaganda für eine bestimmte Person.

"Endlich anders" drückt den Wunsch aus, dass sich an der Spitze der Regierung etwas ändert. Jeder darf dieser Meinung sein. Wenn er sich aber als Journalist außerhalb der Kommentarspalten so äußert, dann ist das ein Problem. Mag sein, dass man sich dem jungen Publikum andienen wollte. Mag sein, dass es einfach tiefster Überzeugung entsprach. Falsch und unangemessen ist beides - und es nährt den Vorwurf, dass Journalist(inn)en zu oft mit den Grünen sympathisieren.

Nach dem Interview geklatscht

Ein weiterer Tiefpunkt war in dieser Hinsicht das Interview, das Annalena Baerbock am Abend ihrer Nominierung dem Fernsehsender ProSieben gab. Da klatschte am Ende das Interview-Team aus Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke vor laufenden Kameras Beifall - mit Hinweis auf das fehlende Studiopublikum. Das mag freundlich gemeint gewesen sein, trotzdem handelte es sich um ein völlig unübliches Verhalten im Journalismus.

Manchmal kann sogar je nach Bedarf ein- und dasselbe Verhalten für oder gegen die Person verwendet werden. So ist es zum Beispiel mit dem Lächeln. Während es bei Laschet eher als tolpatschig interpretiert wurde und als Beweis für seine Unfähigkeit, galt es bei der Kontrahentin Baerbock als ein Ausweis für ihre Frische und Unverbrauchtheit.

Die Alternative wäre: einfach nicht zu lächeln. So versuchte es Angela Merkel anfangs. Ohnehin panzerte sie sich als Bundeskanzlerin mit den immer gleich geschnittenen Jackets und mit einer stets perfekten Frisur, um sich nur ja nicht über Äußerlichkeiten angreifbar zu machen - wie das eine Mal, als sie im Jahre 2008 mit tiefem Dekolleté zur Eröffnung der neuen Oper in Oslo erschien und dadurch jede Menge Schlagzeilen hervorrief. So viel Weiblichkeit wollten ihr dann viele doch nicht zugestehen.

Gut bekommen ist Angela Merkel der Verzicht aufs Lächeln übrigens nicht, es wurde als ein Zeichen mangelnder Lässigkeit interpretiert. Warum sie immer so böse dreinschaue und die Mundwinkel nach unten ziehe, hieß es.

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