Biden in München: "Die Demokratie ist an einem Scheidepunkt"

19.2.2021, 17:44 Uhr
Schaltete sich per Video nach München: US-Präsident Joe Biden.

© MANDEL NGAN, AFP Schaltete sich per Video nach München: US-Präsident Joe Biden.

Für Wolfgang Ischinger muss es eine bittersüße Erfahrung sein: Zum ersten Mal in der fast sechs Jahrzehnte währenden Geschichte der Münchner Sicherheitskonferenz hat sich ein amtierender US-Präsident angekündigt - und doch ist Joe Biden an diesem Abend zugleich da und doch nicht da im Hotel Bayerischer Hof.

Die Demonstranten kommen dennoch

Wegen der Corona-Pandemie hat Konferenzchef Ischinger die Zusammenkunft ins Digitale verlegt. Die Teilnehmer, große Namen auf der Weltbühne - Joe Biden, Boris Johnson, Emmanuel Macron, Bill Gates, Nato-Chef Jens Stoltenberg - sind deshalb nicht selbst nach München gekommen, sie schalten sich per Video zu.

Für die Anwohner bedeutet das immerhin einen Februar ohne Straßensperren, wenngleich sich die Demonstranten nicht ins Digitale verbannen lassen - ihre Antikriegskundgebung wollen sie an diesem Samstag auch ohne internationale Staatsgäste vor dem Hotel durchziehen.

Aller Digitaldistanz zum Trotz, ein wenig Symbolkraft geht von München aus: Es ist das erste Mal, dass sich Joe Biden seit seinem Amtsantritt an ein europäisches Publikum richtet. Dass er das bei einer Konferenz tut, die allzu oft der Selbstvergewisserung des transatlantischen Bündnisses diente, legt schon für sich Zeugnis davon ab, dass Biden es ernst meint mit einer Abkehr von der "America first"-Doktrin seines Vorgängers, der gar das Beistandsversprechen der Nato in Zweifel zog.

Der 78-jährige Biden ist Stammgast auf der Sicherheitskonferenz. Als junger Senator kam er zum ersten Mal zu der Münchner Wehrkundetagung, wie sie damals hieß - mehr als 40 Jahre ist das her. Später verteidigte er als Vizepräsident die Außenpolitik Barack Obamas. 2019, bei seinem letzten Besuch, der Präsident hieß Donald Trump, versprach Biden: "Wir kommen zurück." Ein Versprechen, auf das er nun zurückkommt.

Biden: "Amerika ist zurück"

Er sei, sagt Biden, als er schließlich zugeschaltet wird, ein Mann, der zu seinem Wort steht. "Ich schicke in die Welt eine klare Botschaft: Amerika ist zurück. Das transatlantische Bündnis ist zurück.“ Man schaue nicht mehr zurück, „wir schauen in die Zukunft“. Die Partnerschaft zu Europa sei ein "Eckpfeiler dessen, was wir im 21. Jahrhundert zu erreichen suchen." Gleichzeitig freue er sich, wenn die Europäer mehr in die eigene Verteidigung investieren.

Der US-Präsident erinnert zudem daran, dass es die Vereinigten Staaten waren, die um die Hilfe der Europäer ersuchten - damals, als zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Nato der Beistandspakt ausgelöst wurde: nach den Anschlägen vom 11. September.

"Müssen beweisen, dass unser Modell kein Relikt der Geschichte ist"

"Wir sind an einem Reflexions-, an einem Scheidepunkt", sagt Biden. "Wir müssen zeigen, dass die Demokratie immer noch liefern kann in dieser Welt von heute. Wir müssen beweisen, dass unser Modell kein Relikt der Geschichte ist."

Biden macht auch klar, wen er für die Bedrohungen hält – China und Russland. So versuche Präsident Wladimir Putin, das transatlantische Bündnis zu untergraben. Für Russland sei es einfacher einzelne Länder unter Druck zu setzen und zu bedrohen, als sich mit starken, geeinten Bündnissen anzulegen. Ihm sei nicht daran gelegen, angesichts globaler Herausforderungen den Kalten Krieg wieder aufleben zu lassen, so Biden. Unbeantwortet bleiben dürften Putins Provokationen aber nicht.


Buch über den Tod seines Sohnes: Das Versprechen des Joe Biden


"Beyond Westlessness" ist die Konferenz in diesem Jahr überschrieben, was sich recht ungelenk mit "Jenseits der Westlosigkeit" übersetzen ließe. "Westlessness" ist eine begriffliche Neuschöpfung, die eine Welt ohne den Westen als zentralen Akteur beschreibt, aber auch die wachsenden Zweifel im Westen an der vermeintlichen westlichen Schicksalsgemeinschaft. Doch freilich kann es in Zeiten einer Pandemie nicht bloß um eine Selbstbeschäftigung des Westens gehen.

Gates: "Klimawandel wird fünfmal mehr Leben kosten"

Microsoft-Gründer Bill Gates, der jahrelang vor einer Krise wie der jetzigen gewarnt hatte, plädiert in seinem Beitrag dafür, Milliarden in die Prävention der nächsten Pandemie zu investieren - dabei aber eine noch größere Herausforderung nicht aus den Augen zu verlieren, eine Herausforderung, über die er gerade ein Buch veröffentlicht hat: "Der Klimawandel wird fünfmal mehr Leben kosten als die Pandemie, gerechnet bis Ende des Jahrhunderts“, sagt Gates.

Ausrichter Ischinger hatte die Münchner Konferenz kurzerhand zur "Special Edition" erklärt - den Wunsch, doch noch 2021 eine Sicherheitskonferenz vor Ort auszutragen, nicht aufgegeben. Genauso wenig wie den Traum, einen amerikanischen Präsidenten dann tatsächlich in München begrüßen zu können.


America the beautiful: Joe Biden steht für das schöne Amerika


Einen Plan, um das zu schaffen, hat er der Nachrichtenagentur dpa bereits verraten: "Wenn wir die Konferenz so legen können, dass sie mit einer anderen Verpflichtung des amerikanischen Präsidenten in Europa zusammenfällt, dann kann ich mir das schon vorstellen."

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