Notsituation

Corona verschärft psychische Probleme bei Bayerns Schülern - "Bei uns brennt die Hütte"

19.7.2021, 16:28 Uhr
Über Monate blieben die Klassenzimmer leer, sind sich Schüler und Lehrkräfte nur auf Distanz begegnet. Das hat Folgen, auch für die Psyche der Schützlinge. 

© Philipp von Ditfurth, dpa Über Monate blieben die Klassenzimmer leer, sind sich Schüler und Lehrkräfte nur auf Distanz begegnet. Das hat Folgen, auch für die Psyche der Schützlinge. 

Weil nach Ansicht des Verbandes "die Wissensbasis weiter dünn" sei, hat der Bayerische Philologenverband mehr Studien eingefordert, wie sich die Corona-Pandemie auf Jugendliche insbesondere an den Schulen auswirkt. Parallel hat der Verband seine Mitglieder dazu befragt.

Das Ergebnis, sagt der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl, "hat uns überrascht. Wird konnten uns nicht vorstellen, dass in so vielen Klassen Kinder sind, die massiven, psychosozialen Unterstützungsbedarf haben." In sechs von sieben Klassen an den Gymnasien und Berufsoberschulen ist demnach mindestens ein Schüler betroffen, in jeder fünften Klasse sind es der Erhebung folgend mehr als vier. Manche seien praktisch verstummt, andere störten massiv den Unterricht.

Mehr Geld

Rund 2000 Lehrkräfte hatten sich an der Umfrage beteiligt. Der Verband wollte erfassen, wie viele ihrer Schützlinge nach den Monate währenden Schulschließungen in Schwierigkeiten geraten sind, wie groß der Lernrückstand ist, und wie er sich aufholen ließe. "Bei uns brennt die Hütte", sagt Michael Lilla, Betreuungslehrer im oberbayerischen Gauting. Viele Schüler hätten den Lockdown schlecht verkraftet. Wer jetzt helfen wolle, der müsse in das Zeitmanagement investieren und ins Personal. "Das wird sehr viel Geld kosten", sagt Lilla. "Aber es ist gut investiert in die Zukunft unserer Kinder."

Die oberfränkische Schulpsychologin Regina Knape bestätigt das. "Die psychosoziale Krise ist voll in den Schulen angekommen", sagt sie. "Wir beobachten das täglich." Die Konzentrationsfähigkeit der Schüler habe "extrem gelitten", ebenso "ihr Sozialverhalten oder ihr Verhaltenkönnen. So etwas muss trainiert werden." Die Schulpsychologin sagt, dass "die psychischen Probleme dramatisch zunehmen." Das reiche von Essstörungen über Erschöpfungszustände und Depressionen bis hin zu Suizidgedanken.

Die Krise habe sich verstärkt, sagt die Schulpsychologin, "weil wir die Kinder nicht in Präsenz betreuen durften." Gleichzeitig seien die Kinder und Jugendlichen täglich mit dem Medium allein gewesen, "das das größte Suchtpotenzial hat." Es zeige sich, dass die Internetsucht deutlich gestiegen sei. Etliche Kinder litten unter Cybermobbing, das ebenfalls deutlich angestiegen sei.

Abgestürzt

Knape schildert den Fall eines Abiturienten, den sie betreut hat. Der Einser-Schüler sei während des Lockdowns immer tiefer in die Internetspielsucht abgetrieben. Am Ende sei er nicht mehr zum Abitur angetreten. "Er ist in einem so schwierigen Zustand, dass er gar nicht beschulbar ist." Zudem berichteten viele Abiturienten, dass sie kein Studium beginnen, weil sie nicht erneut nur vor dem Bildschirm sitzen wollen.

Natürlich gibt es auch Jugendliche, die die Krisenzeit gut gemeistert haben. "Lernstarke, digital affine Jugendliche, die von ihren Eltern gut begleitet worden sind, haben das gut durchgestanden", sagt Knape. Allerdings zeige sich jetzt auch, wie viele Lehrkräfte sich in den Zeiten des Digitalunterrichts und der Distanz verausgabt haben. Auch sie müssten aufgefangen und entsprechend unterstützt werden.

Der bpv fordert deshalb, dass deutlich mehr Stunden für Schulpsychologen zur Verfügung gestellt werden müssten. Zwar sind an fast allen fortführenden Schulen mittlerweile Psychologen eingebunden. Ihnen stehen in der Regel aber nur sechs Wochenstunden für ihre Arbeit zur Verfügung. Das reiche bei weitem nicht aus, wenn allen Betroffenen geholfen werden soll. "Zeit ist jetzt der entscheidende Faktor"; sagt der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl. "Wir dürfen nicht die Fehler vom Herbst 2020 wiederholen."

6 Kommentare