Deutschland hat gewählt

Debakel für die Union, Erfolg von Olaf Scholz - aber wer Kanzler wird, ist noch offen

26.9.2021, 18:25 Uhr
Wird er der nächste Kanzler? Das muss sich erst noch zeigen - in wohl schwierigen Sondierungen.

© Shan Yuqi via www.imago-images.de, imago images/Xinhua Wird er der nächste Kanzler? Das muss sich erst noch zeigen - in wohl schwierigen Sondierungen.

"Nie gab es mehr zu tun": Diesen Satz plakatierte die FDP im Wahlkampf. Und er fasst sehr gut zusammen, worum es ging bei dieser Wahl: um die Chance eines klugen Neuanfangs, der systematisch jene Aufgaben anpackt, die in den vergangenen Jahrzehnten verschleppt worden sind - in der manchmal schon verklärten Ära Merkel.

Sieger und Verlierer sind sehr nah beieinander

Ob es was wird mit diesem Neuanfang? Wir müssen wahrscheinlich noch einige Wochen, wenn nicht Monate warten. Denn zu nah beieinander sind Sieger und Verlierer - wenn man angesichts des knappen Ergebnisses überhaupt diese Kriterien anlegen kann. Dabei ist eines klar: Die Union hat ein historisches Debakel erlebt, wie sie es in dieser Dramatik noch vor wenigen Wochen nie für möglich gehalten hätte. Ein massiver Stimmenverlust im Vergleich zu 2017, ein gewaltiger Absturz. Dass CDU und CSU offenbar weniger Stimmen bekamen als die wieder erstarkten Sozialdemokraten, das ist der Offenbarungseid einer Doppel-Partei, die einen Wahlkampf ohne Kompass führte.

CDU und vor allem CSU waren fast schon panikartig getrieben von der Angst des drohenden Machtverlustes. Macht zu haben und den Regierungschef zu stellen - das gehört zur DNA der Union, die sich für eine Art naturgegebene Regierungspartei hält. Das verriet auch ihr rückwärtsgewandter "Linksrutsch"-Wahlkampf, der viel Diffamierung enthielt und kaum Zukunftskonzepte.

Die Union hat eine Erneuerung bitter nötig

Diese Union hätte eine inhaltliche und auch personelle Erneuerung eigentlich bitterlich nötig - auch wenn das ihre Spitzen verneinen, um erst mal im Amt bleiben zu können. Wie geht es nun weiter mit Armin Laschet, diesem bis zuletzt (Stichwort: falsch gefalteter Wahlzettel) zu peinlichen Pannen neigenden Kandidaten?

Das kommt auch auf das Verhalten der CSU an, die momentan eine Ein-Mann-Partei mit bisher nur verhalten murrender Basis ist: Markus Söder wird nun genau erkunden, wie seine Chancen sind, Kurs und Konturen der Union zu prägen. Dass er dabei die Bundestagswahl 2025 nicht nur im Hinterkopf hat, das darf man diesem machtbewusstesten aller Machtmenschen getrost unterstellen.

Wie lange hält die SPD-Linke ruhig?

Die SPD hat ihre Wiederauferstehung allein Olaf Scholz zu verdanken, der einen fehlerfreien Wahlkampf nach Merkel-Art führte und deren unaufgeregten bis einschläfernden Stil fortführen möchte - womöglich auch als Kanzler. Ob sein Erfolg das Resultat einer Mogelpackung ist? So ruhig wie während des Wahlkampfs werden die SPD-Linken jedenfalls nun nicht mehr bleiben. Sie wollen linke Inhalte umgesetzt wissen, und sie blicken da voller Misstrauen auf die FDP. Dass Rot-Grün-Rot nun rein rechnerisch wegen der Schwäche der Linken gar nicht möglich ist, wird die Linken in der SPD eher anstacheln, trotzdem linke Politik umsetzen zu können.

Die Grünen sind so stark wie noch nie im Bundestag - aber in Umfragen lagen sie vor ein paar Monaten noch fast doppelt so hoch. Da wiederholt sich Wahlgeschichte: Je näher die Abstimmung rückt, desto stärker schrumpft die Öko-Partei - die nun gar nicht mehr so weit vor den gewaltig erstarkten Liberalen liegen dürfte.

Was den Deutschen wichtig ist

Ist der Klimaschutz den (im Schnitt immer älteren) Deutschen doch nicht so wichtig? Soziale Sicherheit und mehr Gerechtigkeit war und ist ihnen jedenfalls schon immer viel wert - dafür steht die SPD. Und ein bisschen mehr Freiheit in unserer durchbürokratisierten Gesellschaft mit Fax-Geräten und schier endlosen Genehmigungsverfahren wünschen sich auch viele - das erklärt den Erfolg der FDP.

Was machen die Parteien nun mit diesem Ergebnis? D kommt es jetzt zunächst auf FDP und Grüne an. Sie werden gebraucht, und zwar im Doppelpack. Von der SPD für eine Ampel. Oder von der Union für Jamaika. Und sie werden dabei von Laschet wie von Scholz mit vielen, vielen Zugeständnissen umworben werden.
Erstmals zählen Inhalte mehr als reines Lager-Denken, wie es bisher vorgeherrscht hat: Das sagte FDP-Chef Lindner vor der Wahl. Zu hoffen ist, dass er und die Grünen das wirklich ernst meinen. Und sondieren, mit welchem Partner sie das bessere, das zukunftstauglichere Konzept für Deutschland auf den Weg bringen können.

Wir werden Merkel vielleicht noch bei der Neujahrsansprache erleben

Das dürfte dauern. Erst Sondierungen, dann echte Koalitionsverhandlungen. Diejenigen, die Angela Merkel schon jetzt vermissen, können vielleicht darin Trost schöpfen, dass sie 2021 nochmals eine Neujahrsansprache der Kanzlerin erleben. Die Regierungsbildung kann dauern - und die Beteiligten sollen sich dafür auch Zeit nehmen. Damit das Ergebnis stimmt. Denn nie gab es mehr zu tun.

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