Der Kampf gegen Antisemitismus: Ein vergebliches Unterfangen?

17.10.2019, 07:50 Uhr

Vom wem stammt dieser unerträgliche Satz: "Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss. Ich glaube, das Beste wäre Gas." Nicht von Adolf Hitler. Vom letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. Nur einer von unzähligen Belegen dafür, wie tief und wie lange Antisemitismus verankert ist im (nicht nur) deutschen Denken (sofern man da von "Denken" sprechen kann). Der 1918 aus dem Amt gedrängte Kaiser glaubte auch an die "Protokolle der Weisen von Zion" – eine plump gemachte, aber weit verbreitete Fälschung, die vorgab, die "jüdische Weltverschwörung" zu enthüllen.


"Skandalös": Zentralrat der Juden kritisiert Polizei nach Halle-Angriff


Der Täter von Halle, der möglichst viele Juden töten wollte, sprach in seiner kruden Botschaft vom "zionistischen Besatzungsregime", das er bekämpfen wolle. Genau das gleiche Gebräu an Unwissen, Vorurteilen und Hass wie bei Wilhelm Zwo. Ist Antisemitismus (und auch Rassismus) unausrottbar? Man kann jedenfalls verzweifeln angesichts der Tatsache, dass jüdisches Leben in Deutschland (und anderen Staaten) oft nur unter Polizeischutz möglich ist, dass die Zahl der Attacken und Anfeindungen steigt. Und: dass es eine Partei gibt, die entgegen all ihren Beteuerungen Ressentiments befeuert: AfD-Chef Gauland nannte den Holocaust einen "Fliegenschiss" – der Attentäter von Halle sagte, er glaube nicht, dass es den Holocaust gegeben habe. Kein Zusammenhang?

Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur, schrieb gerade mit Blick auf jene sprichwörtlich gepackten Koffer, die bei Juden auf dem Dachboden stehen für den Fall einer Bedrohung: "Wir sollten sie herunterholen. Es ist an der Zeit zu überlegen, was wir einpacken."

Sätze, die Stachel sein müssen und Handlungsauftrag an uns alle. Damit die Koffer bleiben können und die Juden. Gefordert ist nicht nur die Politik. Sie pocht nun aber zu Recht darauf, dass die Justiz jenen Spielraum bei der Ahndung von Antisemitismus mit Härte nutzt, den sie aktuell zu oft nicht ausschöpft.

Wichtig: Regeln fürs Netz

Wir müssen klären, ob das Internet für alle Zeiten ein offener Marktplatz für Hass und eine Bühne für Terroristen bleiben darf. Bei der ersten Medienrevolution, dem Buchdruck, kam es anfangs zu ähnlichen Grenzüberschreitungen – zu Zeiten Luthers, dieses glühenden Antisemiten. Erst später entstanden Regularien für Druckwerke. Auch das Netz, Ergebnis der zweiten Medienrevolution, bräuchte Regeln.


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Bildung, Austausch, Kontakte: wichtige Ansätze gegen Vorurteile. Da lohnt sich jeder investierte Euro. Ob damit alle Köpfe erreicht werden können? Wir müssen zumindest alles versuchen. Denn es wäre fatal, wenn der Fürther Autor Jakob Wassermann recht behielte, der schon 1921 in "Mein Weg als Deutscher und Jude" den Kampf gegen Antisemitismus so bilanzierte: "Es ist vergeblich."

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