"Deutsche Rechte bejubeln Erdogans harte Hand"

25.6.2017, 14:08 Uhr

Herr Weiß, Sie beschreiben in Ihrem Buch den Aufstieg der neuen Rechten. Momentan sieht es eher so aus, als sei dieser Aufstieg gestoppt: Die AfD schrumpft, die Wahlen zeigen überall den Erfolg demokratischer Parteien der Mitte. Haben die Menschen erkannt, dass die neu- oder altrechten Parolen nicht taugen für eine gute gemeinsame Zukunft?

Weiß: Das wäre erfreulich, möglicherweise spielt auch der katastrophale Eindruck, den Donald Trump oder die britische Politik hinterlassen haben, eine Rolle. Es ist ja bezeichnend, dass in Großbritannien mit Ukip eine treibende Kraft des Brexit bei den Wahlen wieder vollständig verschwunden ist. Allerdings kam die Einsicht hier zu spät und die Partei hinterlässt einen riesigen Scherbenhaufen. Vor allem ist es noch viel zu früh für Entwarnungen. Die AfD lebt hauptsächlich von äußeren Faktoren und bis zur Wahl im September kann noch viel passieren. Hinsichtlich ihrer Konjunkturen arbeiten sie mit den Islamisten Hand in Hand.

Volker Weiß (44), Historiker und Publizist.

Volker Weiß (44), Historiker und Publizist. © Foto: Hauschild/Ostkreuz

Die AfD, Hand in Hand mit Islamisten - da werden Alexander Gauland oder Frauke Petry aufschreien... Wo sehen Sie da eine Übereinstimmung?

Weiß: Entgegen des Klischees von einer "islamophoben" Rechten gibt es dort zunächst traditionell eine gewisse Wertschätzung für den Islam. Er wird als eine heroische Ordnung interpretiert, deren Anhänger den materiellen Verlockungen einer amerikanisierten Welt besser widerstünden als die Europäer. Vergessen Sie nicht Björn Höckes Worte, wonach nicht der Islam der "Feind" sei, sondern die "Dekadenz".

Man wehrt sich viel mehr gegen die Einwanderung als gegen die Religion und trifft sich in autoritären, ultrakonservativen Werten. Vor allem wird der Angriff auf die "Grauzone", den Bereich des Zusammenlebens, von beiden Seiten, organisiert. Von den Islamisten, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass ihre Anhänger einen "westlichen" Lebensstil annehmen — und von Rechten, die nach ethnischer Homogenität streben.

Autoritäre Präsidialherrschaft

Wenn es diese klammheimliche Allianz zwischen Rechten und Islamisten gibt - dann bedeutet das auch: Islamisten freuen sich über eine starke Rechte, weil das dann in Richtung starker, autoritärer Staat geht, und umgekehrt...

Weiß: Es ist ja kein offizielles Bündnis, die beiden entsprechen sich einfach, ihre Sicht auf die Welt ist zu ähnlich. Kultur gilt ihnen als unentrinnbares Schicksal, nicht als Produkt gesellschaftlicher und historischer Entwicklung. Ihre Formen und Rollen sollen daher zwingend sein. Denken Sie an Erdogans Rede von der Assimilation als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Deutsche Rechte haben die harte Hand Erdogans gegen Presse und Opposition bejubelt, die Inhaftierung von Deniz Yücel etwa. So möchte man auch verfahren können. Die große Bewunderung in diesen Kreisen für Orban, Putin, aber auch Trump oder eben Erdogan zeigt deutlich, dass die neue, antieuropäische Rechte die Weichen Richtung einer autoritären Präsidialherrschaft stellen möchte.

Autoritär, das ist das eine Ziel. Aber auch stärker ausgrenzend, gegen das, was wir "Offene Gesellschaft" nennen. Wie stark schätzen Sie die Feinde dieser Offenen Gesellschaft ein?

Weiß: In der Partei, also der AfD, sind sie sehr stark. Anders als bei den frühen Grünen, wo der Prozess umgekehrt verlief, hat sich die AfD von Parteitag zu Parteitag eher radikalisiert. Derzeit gehen Chatprotokolle durch die Medien, in denen AfD-Funktionäre unter sich von "Machtübernahme" und einem Verbot "volksfeindlicher Medien" träumen. So eine Haltung spricht aus dem ganzen Jargon, in dem man von "linksgrün-versifften Gutmenschen" und der "Lügenpresse" schwadroniert und der ja bis in die Parteispitze hinein gepflegt wird.

Besonders besorgniserregend ist die wachsende Bindung an das private "Institut für Staatspolitik" in Sachsen-Anhalt um den Verleger Götz Kubitschek. Dieser hat mit "Finis Germania" gerade ein antisemitisches Buch verlegt, sein Kreis hängt offen faschistischem Gedankengut an. Björn Höcke und André Poggenburg (zwei AfD-Funktionäre, die Red.) sind mit Kubitschek eng verbunden. Höcke ist dort schon als Redner aufgetreten.

Insgesamt sammelt sich derzeit ein Milieu, in dem man die Demokratie ganz im Stil des Nationalismus der zwanziger Jahre für eine "Herrschaft der Minderwertigen" hält. Das ist in diesem Organisationsgrad selbst dann noch besorgniserregend, wenn es unter der Fünfprozenthürde bleiben sollte.

NPD 2.0

Sie sehen die AfD also eindeutig auf dem Marsch nach rechts außen?

Weiß: Da ist sie doch schon längst angekommen. Sie ist eine rechtspopulistische Sammlungsbewegung, die als Alternative zu den Unionsparteien gegründet wurde. Organe wie die "Junge Freiheit", die seit Jahren eine deutsche FPÖ gefordert haben, standen ihr von Anfang an zur Seite. Strömungen wie die "Patriotische Plattform" ziehen sie in Richtung einer NPD 2.0. Unvereinbarkeitsbeschlüsse, etwa gegen eine Zusammenarbeit mit den Identitären, werden in ihren Reihen konsequent ignoriert.

Umkämpft ist lediglich die Frage, welche rechte Strömung sich sozialpolitisch langfristig durchzusetzen vermag. Eine nationalsoziale, die einen Rest Fürsorge "für Deutsche" erhalten will, oder das Modell Donald Trump, das zwar die nationale Wirtschaft besser vor ausländischer Konkurrenz zu schützen gelobt, aber hinsichtlich der Unterschichten auf die "natürliche Auslese" setzt. Diese Spaltung durchzieht aber die gesamte Rechte, nicht nur in Deutschland.

Sie machen den Aufstieg der neuen Rechten auch an "Deutschland schafft sich ab" fest, dem Bestseller von Thilo Sarrazin. Was hat sein Buch freigesetzt?

Weiß: Sarrazin, und damit beziehe ich mich auf Aussagen neurechter Akteure selbst, hat ihnen die Türe geöffnet. Er hat Begriffe und Themen gesetzt, die so bis dato nur in den Kreisen der äußersten Rechten diskutiert wurden. Die Abschaffung Deutschlands ist seit 1945 deren Thema. Diese sind dann schnellstmöglich auf den fahrenden Zug aufgesprungen, die "Junge Freiheit" hat in seinem Windschatten eine Werbekampagne gestartet, es gab Broschüren über Sarrazin etc.

In seiner Inszenierung als verfolgter Märtyrer – bei gleichzeitiger Dauerbeschallung des Landes über sämtliche Kanäle mit seinen Thesen – diente er als Rollenvorbild. Heute agiert die Rechte praktisch durchweg nach dem Muster, sich als Opfer zu inszenieren.

Jeder stellt sich sein eigenes Abendland vor

"Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" heißt der Untertitel Ihres Buches. Was ist unter dem "Abendland" zu verstehen?

Weiß: "Abendland" war mehreren Bedeutungsverschiebungen unterworfen. Erst sollte der Begriff einen Anspruch auf die Nachfolge des Römischen Imperiums formulieren. Er signalisierte den Führungsanspruch des Heiligen Römischen Reiches in Abgrenzung zum griechisch-byzantinischen Christentum. Noch in der Romantik wurde darunter in Abkehr vom protestantischen Rationalismus ein in katholischer Harmonie geeintes Europa verstanden.

Dementsprechend diente "Abendland" im 20. Jahrhundert vor allem dem politischen Katholizismus als Kampfbegriff gegen die Sowjetunion, später löste ihn eine eher säkulare Vorstellung von Europa ab. Seine Wiederkehr in einer antiwestlich ausgerichteten Bewegung wie Pegida war daher einigermaßen grotesk. Der Begriff ist dabei inhaltlich regelrecht umgedreht worden. Daher kann sich heute wohl jeder sein eigenes Abendland vorstellen und dafür demonstrieren.

Sie werfen den Verfechtern der Offenen Gesellschaft "Sprachlosigkeit" vor beim Umgang mit Islam(ismus). Warum?

Weiß: Ich sehe ein großes Problem, wenn mit Formeln wie der vom "Respekt vor religiösen Gefühlen" Kritik verhindert wird. Teilweise wird der an den Menschenrechten orientierte Universalismus kurzerhand verabschiedet. Plötzlich gilt auch in sogenannten fortschrittlichen Kreisen etwa die muslimische Verschleierung als untrennbares Identitätsmerkmal. Dabei ist sie eine rein traditionelle Konvention, aus der vor allem der Wunsch spricht, Frauen weniger sichtbar zu machen.

Angehörige der westlichen Gesellschaften meinen plötzlich Dinge bei anderen verteidigen zu müssen, von deren Verschwinden hier sie selbst profitiert haben: die Angst vor Blasphemie, Sittlichkeitsvorstellungen, kultureller Formenzwang, etc. In globalen Zeiten wie diesen kann ich den identitären Ultrakonservatismus der Rechten nicht kritisieren, ohne mich auch dem selben Phänomen in den Reihen fundamentalistischer Muslime zu nähern.

Und umgekehrt: Ich kann den Islam nicht als "rückständig" angreifen und selbst – wie bei der AfD gegeben – christliche Eiferer gegen die Homo-Ehe mobilisieren. Wer sich gegen die deutsche Rechte stellt, sollte konsequent sein und nicht aus Exotismus die gleichen Unsitten bei anderen dulden.

Volker Weiß (44), Historiker und Publizist, schaffte es mit seinem aktuellen Buch "Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des Abendlandes" (Klett-Cotta Verlag, 304 Seiten, 20 Euro) auf die Nominierungsliste für das beste Sachbuch auf der Leipziger Buchmesse. Er schildert darin die rechtspopulistische bis rechtsextreme Szene mit viel Detailkenntnis. Am Montag, 3. Juli, stellt der promovierte Geschichtswissenschaftler sein Buch im Bildungszentrum Nürnberg vor (Beginn: 19 Uhr, Eintritt: 8 Euro) und diskutiert mit NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz über seine Thesen.

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