Ein ganzer Bus voll mit jubelnden Senioren

30.6.2011, 18:56 Uhr
Ausgelassene Stimmung im AWO-Bus.

© Klaus Winkler/Stephanie Händel (2) Ausgelassene Stimmung im AWO-Bus.

Zwei Jahre, zwischen 1957 und 1959, hielt die Nürnbergerin trotzdem durch, stand als Torhüterin zwischen den Pfosten des Damen-Fußball-Vereins Nürnberg.

Dann löste sich die Mannschaft auf, Klausfelder widmete sich anderen Sportarten. „War eben eine andere Zeit damals“, sagt sie entschuldigend. Wenn sie noch einmal jung wäre, die Hüfte nicht zwicken und der Rücken nicht zwacken würde, sie würde sofort wieder mit dem Fußballspielen beginnen, würde sich nicht so schnell kleinkriegen lassen vom mosernden Gatten.

Nun steht die 72-Jährige Rentnerin mit dem Kurzhaarschnitt und den pink geschminkten Lippen in der Augsburger Maximilianstraße, wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und begutachtet die Merkurstatue. „Schauner hie, hat der an scheena Bobbers!“

Vor wenigen Minuten hat der Bus Hannelore Klausfelder und 39 weitere Nürnberger – der Großteil davon bereits jenseits der 60 – im Zentrum der Fuggerstadt abgesetzt. Zweck des Ausfluges ist das Fußballweltmeisterschaftsspiel der Frauen zwischen Norwegen und Äquatorial-Guinea, das am Nachmittag im Augsburger Stadion stattfindet.

Ein Jodler im Rathaus

Ein gewisses Wagnis sei es schon gewesen, so eine Tour zu veranstalten, meint Organisator Klaus Winkler von der Arbeiterwohlfahrt. Seine AWO-Senioren hätten schon allerhand gemeinsam unternommen, aber noch nie habe man einen Ausflug zu einer Fußball-WM gemacht. „Außerdem hätten sich natürlich viele lieber eine Fahrt zu einem Deutschland-Spiel gewünscht“, sagt Winkler. Dies sei aber aus organisatorischen Gründen nicht möglich gewesen und so ist es dann eben das Vorrundenspiel zwischen Norwegen und Äquatorial-Guinea in Augsburg geworden.

Die Rechnung ging trotz aller Bedenken auf: Sämtliche vorbestellte Tickets fanden Abnehmer, die Plätze im Bus sind gut gefüllt – neben ehemaligen aktiven Fußballerinnen wie Erika Faul, der Schwester von Fußball-Pionierin Helga Faul, ist er gespickt mit unternehmungslustigen Senioren, von denen die wenigsten bereits Stadionerfahrung mitbringen. Sogar vier gebürtige Äquatorial-Guineer sind mit von der Partie – eine stattliche Zahl angesichts der Tatsache, dass in ganz Deutschland schätzungsweise nicht mehr als 100 Menschen aus dem kleinen Land in Zentral-Westafrika leben.

Wer mit Hannelore Klausfelder unterwegs ist, bekommt allerdings rasch Zweifel, wer denn nun tatsächlich der exotischste Fußballfan des Tages ist. Die 72-Jährige steht im prächtigen Saal des Augsburger Rathauses, die Hände mit den orange lackierten Fingernägeln klammern sich um die Träger ihrer Handtasche, und stimmt unvermittelt einen kräftigen Jodler an. „Ich war früher auch mal Schlagersängerin“, erklärt sie ihr musikalisches Intermezzo.

Nach dem Stadtrundgang und einem schnellen Mittagessen hält der Reisebus Kurs in Richtung Augsburger Stadion. Bei Ehepaar Zellbrot ist die Vorfreude besonders groß. Wolfgang Zellbrot, 78, war schon bei der WM 2006 als Gästebetreuer für Nürnberg im Einsatz. Seine Dienstjacke von damals, mit dem großen roten „I“ auf dem Ärmel, hat er auch jetzt dabei, bereitwillig kramt er sie aus seinem Rucksack. „Frauenfußball“, sagt er dann, „ist doch viel schöner anzuschauen, ich finde das viel ästhetischer als bei den Männern“. Ehefrau Angelica lächelt gutmütig. Die 74-Jährige hat in ihrem Leben noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen. „Aufregend“, findet sie das alles. Und freut sich besonders auf diese La-Ola-Wellen, die man doch beim Fußballschauen immer macht.

Im Bus hat sich längst Stadionatmosphäre breit gemacht. Die mitgereisten Gäste aus Guinea stimmen Fangesänge an, die Gruppe plappert bereitwillig nach. „Vamos Guinea!“ schallt es lautstark aus allen Sitzreihen, eifrig schnellen die Fähnchen in die Höhe, die sie von Klaus Winkler ausgehändigt bekommen haben. Die bei der Abfahrt am Morgen noch allseits betonte Neutralität („Völlig egal, wer gewinnt“) hat sich längst zugunsten des Außenseiters gewandelt.

Im Stadion machen es sich Hannelore Klausfelder und Christa Cleemann gemütlich.

Im Stadion machen es sich Hannelore Klausfelder und Christa Cleemann gemütlich.

Im Stadion angekommen, gibt es einen ersten kleinen Schock: „Was, da soll ich raufsteigen?“, fragt Hannelore Klausfelder entrüstet, als sie sieht, in welch luftigen Höhen sich ihr Sitzplatz befindet. Tatsächlich hat man die AWO-Senioren in die letzte Reihe der Südtribüne verfrachtet. Weil das Stadion mit 13000 Zuschauern gerade mal zur Hälfte besetzt ist, entschließt sich die Mehrheit, nach ein paar Reihen weiter unten umzuziehen.

Die Rückenschmerzen weichen dem Fußballfieber

Stadionneuling Angelica Zellbrot staunt nur noch über „diese tolle Atmosphäre“, wie sie sagt, Hannelore Klausfelder reibt sich den Rücken: „Da hab ich mir heute wohl’ nen Hexenschuss geholt.“ Nach dem Anpfiff scheinen die Rückenschmerzen allerdings wie weggeblasen, das Fußballfieber ist entfacht: „Mensch Madla, zwa Zendimeda“, entfleucht es ihr, „Allmächd, wou schiesdn die hieee“, schreit Klausfelder, als Genoveva Anonma, „der grüne Laubfrosch“, wie die Spielerin mit den markant grell-grünen Rastasträhnen von einigen Umsitzenden auch genannt wird, mal wieder das Tor nicht trifft.

Jedes Mal, wenn es eine Spielerin in Richtung norwegisches Tor schafft, gerät die Nürnberger Seniorengruppe in eine kleine Ekstase. Bis kurz vor Schluss bleibt die Hoffnung, dass dem WM-Neuling der große Coup gelingt. Dann macht die Norwegerin Emilie Haavi doch noch den Treffer für die Nordeuropäerinnen. „Naja, verdient haben sie das nicht“, sagt Rentnerin Christa Cleemann. „Aber schön anzuschauen war’s trotzdem.“

Auch die mitgereisten Gäste aus Äquatorial-Guinea haben ihren Spaß.

Auch die mitgereisten Gäste aus Äquatorial-Guinea haben ihren Spaß.

Auf der Rückfahrt machen die Piccolos die Runde. Regen prasselt an die Scheiben, der ausgelassenen WM-Stimmung tut das keinen Abbruch. „Jetzt schaut man sich die anderen WM-Spiele doch aus einem ganz anderen Blickwinkel an“, sagt eine Mitreisende. Auch Hannelore Klausfelder ist begeistert: „War super“, sagt sie. Ihr Hals ist rau, der Rücken tut noch weh, aber sonst ist alles o.k. Fußball ist halt immer noch ihre Leidenschaft.

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