Buchkritik

Ein Kanadier rechnet mit der GroKo ab

25.9.2021, 05:00 Uhr
Der Autor Alain Deneault geht in seinem Buch mit der politischen Mitte hart ins Gericht. 

© imago images/Christian Ohde, NNZ Der Autor Alain Deneault geht in seinem Buch mit der politischen Mitte hart ins Gericht. 

Wer das neue Buch des kanadischen Philosophen Alain Deneault in die Hand nimmt, der merkt, dass da jemand mächtig unzufrieden ist und sich seinen Ärger von der Seele schreiben musste. Der 51-Jährige hat schon mehrere kritische Bücher vorgelegt: über das teils zwielichtige Gebaren der internationalen Hochfinanz, Steueroasen oder die Tücken der Globalisierung.

Diesmal beschäftigt er sich mit der "Herrschaft der extremen Mitte", so lautet der Titel seines Werks – und dabei dient ihm Deutschland als Paradebeispiel. Er kennt die hiesigen Verhältnisse gut, hat unter anderem in Berlin studiert.

"Extremistische Regime der Mitte stehen für globale Erwärmung"

Eingangs analysiert der Franko-Kanadier, dass die "extreme Mitte" in Deutschland bereits seit 2005 am Ruder ist, was das Land in seinen Augen nicht wirklich vorangebracht hat. SPD und Union weckten den Anschein, im Geiste des Kompromisses zu regieren. Doch laut Deneault diene diese Art Politik zu machen nicht dem Volk, sondern anderen: "Extremistische Regime der Mitte stehen für globale Erwärmung und massives Artensterben", schreibt er, "sie vergrößern die Kluft zwischen den sehr Armen und den sehr Reichen und stehen für die Förderung der Gewinnmaximierung, Steueroasen im Ausland, Umwandlung ökologischer Standards und den Rückbau des Sozialstaats."

Das ist starker Tobak, es fallen Begriffe wie "imperialistische Wirtschaftsordnung" oder "ideenlose Technokratie". Und weil auch Karl Marx an der ein oder anderen Stelle zitiert wird, kann der Eindruck entstehen, dass da ein romantisierender Kommunist an den Tasten sitzt, der das herrschende System gerne beiseite fegen würde. Doch wer sich auf diese Sichtweise beschränkt, wird Deneaults Anspruch nicht gerecht.

An mehreren Stellen seines bemerkenswerten Buches legt er dar, dass die gestaltgewordene Alternativlosigkeit, für welche die "extreme Mitte" steht, zu einem großen Teil schuld daran ist, dass sich viele enttäuscht von der politischen Kaste abwenden und sich bisweilen in ideologische Ecken begeben, die mit Demokratie und Gemeinwohl nicht mehr viel am Hut haben. Weil sie sich und ihre Sorgen dort ernstgenommen sehen. Das haben die Coronakrise und das damit verbundene Erstarken kleiner und kleinster Splittergruppen im politischen Spektrum zuletzt deutlich gezeigt.

Schonungslos nüchtern beschreibt Deneault im Kapitel über die Wirtschaft und das Finanzwesen, wie sehr sich der Staat den Interessen von Konzernen und der Hochfinanz andient. "Maschinen", schreibt er mit Blick auf die an Aktienmärkten verwendete Soft- und Hardware, "spielen an den Börsen mit den Ersparnissen der kleinen Leute, den Schulden von Staaten und dem Wert von Währungen", analysiert er kopfschüttelnd und plädiert dafür, die Kontrolle über solche aus dem Ruder gelaufenen Entwicklungen wieder zu übernehmen.

"Die Herrschaft der extremen Mitte" ist keine Generalabrechnung mit den herrschenden Systemen. Das Buch ist, in bester philosophischer Tradition, ein Appell für die Nutzung des eigenen Verstandes in einer immer komplizierter werdenden Welt und noch mehr: Deneault zeigt Alternativen gegen das Erstarken von Extremen auf. Keine leichte, aber eine überaus wichtige intellektuelle Kost.

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