Erlanger Verfassungsrechtler über Rassimus: Ist eine Reform notwendig?

18.6.2020, 06:00 Uhr
Soll der Ausdruck "Rasse" im Grundgesetz ersetzt werden? Verfassungsrechtler Markus Krajewski wünscht sich darüber eine Debatte, die ihren Namen verdient. 

© Julian Stratenschulte, NZ Soll der Ausdruck "Rasse" im Grundgesetz ersetzt werden? Verfassungsrechtler Markus Krajewski wünscht sich darüber eine Debatte, die ihren Namen verdient. 

"Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden", heißt es in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.

NZ: Herr Krajewski, sollte der Begriff "Rasse" aus Artikel 3 des Grundgesetzes verschwinden?

Markus Krajewski: Es kommt darauf an, was gleichzeitig in der Gesellschaft passiert. In dem gerade stattfindenden Diskurs müssen auch die Stimmen derer gehört werden, die von rassistischer Diskriminierung betroffen und von der Formulierung im Grundgesetz irritiert sind. Wenn wir am Ende – auch mit einer parteiübergreifenden Mehrheit – zu dem Ergebnis kommen, dass die Verfassung geändert werden sollte, dann ist dies zu tun. Wenn die Diskussionen jedoch nur von nicht betroffenen Juraexperten geführt werden und wir am Ende nur das Grundgesetz ändern und sonst gar nichts passiert, dann sollten wir es lassen.

Erlanger Verfassungsrechtler über Rassimus: Ist eine Reform notwendig?

© Foto: Harald Sippel

NZ: Es wird aber doch die Auffassung vertreten, dass erst der Gesetzestext zu ändern ist, damit auch gesellschaftlich der Rassebegriff aus den Köpfen verschwindet.

Krajewski: Das Problem ist nur, dass Verfassungsänderungen oftmals einen Diskurs beenden. Denken Sie an die Diskussion, als das Asylrecht eingeschränkt wurde. Mit der Verfassungsreform waren die Debatten zu Ende. Viele diskutieren gerade über Rasse und Rassismus. Ich sehe mit Sorge, dass das, worum es eigentlich geht, unter die Räder gerät, sobald die Grundgesetzreform vollzogen ist. Wenn man mit einer Reform die Debatte anstößt, wäre ich dafür.

NZ: Ist denn Artikel 3 Absatz 3 – so wie er jetzt besteht – falsch?

Krajewski: Weil der Rassebegriff überholt ist, ist der Gesetzestext zumindest ungenau. Es gibt keine menschliche Rasse im biologistischen Sinne. Der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert, als man versucht hat, Menschen in Rassen zu unterteilen. Heute wird Rasse vielfach als soziale Konstruktion verstanden, übrigens auch in den USA. Menschen werden aufgrund von sozial zugeschriebenen Kategorien, ihrem Aussehen oder einer vermeintlichen Herkunft diskriminiert. Letztlich ist die Formulierung, die die Väter des Grundgesetzes gewählt haben, natürlich eine klare Absage an rassistische Diskriminierung.


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NZ: Man könnte im Grundgesetz ja die Diskriminierung klar benennen, also von Rassismus anstelle von Rasse sprechen.

Krajewski: Klar. Man könnte auch andere Formulierungen nehmen, etwa, dass niemand aus rassistischen Gründen diskriminiert werden darf, wobei auch das schwammig ist, weil Diskriminierung auch oft unbewusst geschieht. Aber sehen Sie – jetzt fangen wir an, uns über sprachliche Varianten zu unterhalten und die Debatte sollte darum gehen, wie wir mit dem Phänomen ganz generell umgehen und Rassismus bekämpfen sollten.

NZ: Wo spielt Artikel 3 Absatz 3 in der Praxis eine Rolle?

Krajewski: Grundrechte sind so konstruiert, dass sie Bürger gegenüber staatlichem Handeln, und hier insbesondere vor einer Ungleichbehandlung schützen. Nehmen wir das "racial profiling" bei Personenkontrollen. Wenn sich die Polizei etwa im Zugwaggon gezielt und ausschließlich schwarze Menschen für eine anlasslose Passkontrolle herauspickt, dann ist das eine Verletzung von Art 3 Abs. 3. Das gilt auch bei der Strafverfolgung, wenn hier einseitig in einem bestimmten Täterkreis ermittelt wird. Eine Diskriminierung durch die Staatsgewalt ist verboten.


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Es gibt auch den Alltagsrassismus bei Einlasskontrollen vor einer Diskothek, aber auch im Bildungswesen. Da hilft dem Betroffenen Artikel 3 Grundgesetz nicht unmittelbar. Aber der Staat ist verpflichtet, durch Gesetze aktiv tätig zu werden zum Schutz der Bürger. Es geht bei Diskriminierungsverboten oft um den Schutz von Minderheiten, von verwundbaren, ausgegrenzten Personen. Insbesondere das Antidiskriminierungsgesetz gilt hier. Es beruht auf der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie, die hierzulande übrigens erst sehr spät umgesetzt wurde.

NZ: Wird eine Grundgesetzänderung schon länger diskutiert oder ist die Debatte der aktuellen Entwicklung in den USA und hierzulande geschuldet?

Krajewski: Die Diskussion um den Rassebegriff ist immer wieder aufgeflammt. In anderen europäischen Rechtsordnungen verzichtet man bereits darauf. Es geht auch stets darum, wie die Menschen die Grundrechte verstehen, und ob sie sich darin wiederfinden. Unsere Verfassung ist nicht in erster Linie ein historisches, sondern ein lebendes Dokument. Schüler bekommen es zum Schulabschluss geschenkt. Menschen lesen darin. Das Grundgesetz ist nicht dazu da, das widerzuspiegeln, was 1949 gedacht wurde, sondern ist die Grundlage für das rechtliche und gesellschaftliche Leben heute. Wenn also heute größere Debatten stattfinden und wir zur Überzeugung gelangen, dass wir zu einer gesellschaftlichen Veränderung beitragen können, dann ist die Änderung des Grundgesetz-Textes der richtige Weg.

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