Fall Nawalny: Soll der Bau von Nord Stream 2 gestoppt werden?

12.2.2021, 13:36 Uhr
 Der Kremlgegner Alexej Nawalny überlebte einen Giftanschlag, danach wurde er durch ein Moskauer Gerichtsurteil für Jahre politisch kalt gestellt. Seitdem werden die Rufe nach einem Baustopp für Nord Stream 2 lauter.

© -, dpa  Der Kremlgegner Alexej Nawalny überlebte einen Giftanschlag, danach wurde er durch ein Moskauer Gerichtsurteil für Jahre politisch kalt gestellt. Seitdem werden die Rufe nach einem Baustopp für Nord Stream 2 lauter.

Frau Heinrich, der Fall Nawalny erfordert eine klare Antwort. Ein Stopp der umstrittenen Pipeline wäre eine solche Antwort. Was spricht dagegen?
Die russisch-europäischen Beziehungen sind schwierig und geprägt von Rückschlägen. Russland bricht regelmäßig internationales Recht. Darauf mit einem Stopp von Nord Stream 2 zu antworten, das zu 95 Prozent fertig gestellt ist, ist vor allem eine Forderung von denen, die schon immer gegen das Bauprojekt waren. Wir halten diese Vermischung für nicht statthaft. Klar ist aber, dass es eine abgestimmte und angemessene Antwort geben muss. Es ist sinnvoller, mit personenbezogenen Sanktionen zu antworten. Auch im Europarat wird es eine Antwort geben müssen.

Die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Gabriela Heinrich ist als stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Außenpolitik, Verteidigung, Menschenrechte und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die gebürtige Berlinerin lebt seit 1990 in Nürnberg.  

Die Nürnberger Bundestagsabgeordnete Gabriela Heinrich ist als stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion zuständig für Außenpolitik, Verteidigung, Menschenrechte und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die gebürtige Berlinerin lebt seit 1990 in Nürnberg.   © Christian Spicker, imago images

Die Vermischung von Politik und Wirtschaft findet längst statt, es gibt ja bereits wirtschaftliche Sanktionen.
Diese Sanktionen sind eine gemeinsame Antwort der EU auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim sowie auf den Konflikt in der Ost-ukraine. Ziel ist eine friedliche Lösung des Ukrainekonflikts. Wenn Moskau die Minsker Vereinbarungen umsetzt, werden die Sanktionen aufgehoben. Die Verantwortlichen bei der Vergiftung Nawalnys lassen sich identifizieren, gegen sie sind bereits personenbezogene Sanktionen, also Einreise- und Vermögenssperren, verhängt worden. Nun geht es um weitere Sanktionen gegen das Vorgehen der russischen Behörden gegen Nawalny nach seiner Rückkehr, das im krassen Widerspruch zu den internationalen Menschenrechtsverpflichtungen steht.


In der EU wird Nord Stream 2 immer stärker abgelehnt, Deutschland ist zunehmend isoliert.
Das muss man differenziert sehen. Frankreichs Präsident Macron zum Beispiel hatte sich erst gegen Nord Stream 2 ausgesprochen, aber davon ist er inzwischen wieder abgerückt. Er hat Solidarität versichert, auch was mögliche personenbezogene Sanktionen anbelangt. Das Verhältnis zu Russland ist sehr schwierig geworden. Auf der anderen Seite haben wir viele und gute Kontakte zu Menschen auf der zivilen und kulturellen Ebene, oder auch zu russischen Abgeordneten im Europarat. Die zentrale Frage ist, was ist die Alternative zum Dialog? Und wenn man die Strategie einer grundsätzlichen Dialogbereitschaft verfolgt, wie passt dann dazu ein Baustopp? Ich bin überzeugt, dass wir mit Russland im Gespräch bleiben müssen. Die Kritik daran, dass es trotz aller Rückschläge und Provokationen seitens Russlands weiterhin wirtschaftliche Beziehungen gibt, ist wohlfeil.


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Es gibt auch Zweifel am wirtschaftspolitischen Sinn der neuen Pipeline. Die Kapazität wird verdoppelt, obwohl Deutschland für seine Klimaziele auf längere Sicht den Gasverbrauch senken muss.

Wir haben das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der EU vereinbart. Daher investieren wir massiv in erneuerbare Energie. Gleichzeitig steigen wir aus Kohle- und Atomkraft aus. Damit dies gelingt bei gleichzeitiger Energiesicherheit und Preisstabilität brauchen wir Gas als Brückentechnologie. Nord Stream 2 wäre eine zusätzliche Sicherheit, dass Deutschland und Europa mit genug Gas versorgt wären.

Die Beziehungen zu Russland sind derzeit nicht unbedingt von Sicherheit und Verlässlichkeit geprägt.

In wirtschaftlicher Hinsicht war Russland immer ein verlässlicher Partner. In politischer Hinsicht scheint Russland kein Interesse an Kooperation zu haben oder daran, ein berechenbarer und verlässlicher Partner zu sein. Selbst im Kalten Krieg hat man immer gewusst, was Russland will – das ist jetzt nicht immer so. In wirtschaftlichen Beziehungen kann man aber keinen Wandel feststellen. Und wirtschaftliche Zusammenarbeit kann auch ein Weg sein, um die politischen Beziehungen zu verbessern.


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In Deutschlands Beziehungen zu den USA gibt es einen Neubeginn – der durch die auch vom neuen Präsidenten Joe Biden abgelehnten Pipeline schon getrübt wird.
Die neue US-Administration hat aber auch schon signalisiert, dass sie bereit ist, über das Thema zu reden. Das ist positiv. Die Sanktionsbriefe, die letztes Jahr von Senatoren geschrieben wurden, waren indiskutabel. Die Biden-Regierung hat deutlich gemacht, dass ihr die Versorgungssicherheit der Ukraine wichtig ist – genau wie uns auch. In diesem Punkt werden wir zusammenkommen. Es wird Gespräche geben, in einem neuen Ton. Und ich bin optimistisch, dass wir auf eine andere Ebene kommen werden.

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