Palmer, der Paria

Fall Palmer: Die Grünen machen es sich mit Parteiausschluss zu einfach

10.5.2021, 19:29 Uhr
Schon länger hegen viele Grüne tiefen Groll gegen den Tübinger OB Boris Palmer. Nun ist das Tischtuch endgültig zerschnitten.

© Sebastian Gollnow, dpa Schon länger hegen viele Grüne tiefen Groll gegen den Tübinger OB Boris Palmer. Nun ist das Tischtuch endgültig zerschnitten.

Ex-Fußball-Nationaltorwart Jens Lehmann ventiliert die Frage, ob Ex-Nationalspieler Dennis Aogo der "Quotenschwarze" beim TV-Bezahlsender Sky sei - und ist prompt seinen Aufsichtsratsposten bei Hertha BSC Berlin los; Aogo gebraucht als Sky-Kommentator die Formulierung "Trainieren bis zum Vergasen" - und lässt nun seinen Job vorerst ruhen; der Tübinger OB Boris Palmer nennt Aogo einen "schlimmen Rassisten", weil dieser angeblich für sich selbst das zu Recht inkriminierte N-Wort gebraucht habe. Ironisch sei das gemeint gewesen.

Hilft nichts, bei den Grünen will man Palmer nun loswerden - denn gerade bei der moralisch immer auf der vermeintlich richtigen Seite stehenden Parteibasis ist Palmer seit langem nicht mehr gut gelitten. Und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fühlt sich von Palmers immer wieder unberechenbaren verbalen Querschlägern peinlich berührt, was kontraproduktiv ist, wenn man sich fast schon im Kanzleramt wähnt.

Wieder einmal diskutieren die deutsche Politik und ihre Beobachter über vermeintlichen oder tatsächlichen Rassismus und über die Frage, wie tief dieser in unserer Gesellschaft verankert sei.

Ja, Rassismus, die pauschale Diskriminierung und Herabwürdigung von Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale, ist noch immer ein Gift, was durch die Kapillaren unserer Gesellschaft läuft. Parteien links von der Mitte behaupten gerne von sich, per se antirassistisch und antidiskriminierend zu sein, und deshalb findet sich ein Boris Palmer nun dort, wo es politisch unangenehm riecht.


Kommentar zum Rassismus-Wirbel: Die Methode Palmer ermüdet


Doch ist Palmer ein Rassist, weil er in einer aufgeheizten Debatte mit der ihm eigenen Lust an der Provokation ironisch möglicherweise danebenliegt? Da machen es sich seine Parteivorsitzenden Baerbock und Robert Habeck recht einfach. Dies allerdings bewusst, denn eine Debatte darüber, ob man als Grüner schon deshalb nicht rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Denkmustern verfallen kann, ist keine, die sich für sie lohnen würde. Was nicht sein kann, darf nicht sein.

Palmer ist für die Grünen nun das, was ein Hans-Georg Maaßen für Mitte-suchende Merkel-Unionisten ist und was ein Thilo Sarrazin für die SPD vor seinem Parteiausschluss war - ein politischer Paria, eine Art Ausgestoßener. Einerseits, weil sie ihre Parteien mit unangenehmen, verdrängten Problemen konfrontier(t)en, gerne aus dem politisch verminten Themenfeld Migration/Integration; andererseits aber auch deshalb, weil sie dafür selbst ein problematisches Stilmittel einsetz(t)en: Zuspitzung bis hin zur Verkürzung, die den Gesamtzusammenhang nicht mehr erfasst, ihn sogar verfälscht. Dann wird aus einem berechtigten Problemaufriss schnell eine pauschale Diskriminierung.

Ob die Kritik an Palmer für einen Parteiausschluss reicht, ist keineswegs sicher. Die Debatte um denselben haben die Grünen aber nun am Hals.

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