"Fazilität" und Co: Corona-Kommunikation ist oft unverständlich

15.10.2020, 11:26 Uhr
Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, lässt sich vor einer Kabinettssitzung von der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml gegen Grippe impfen. 

© Sven Hoppe, dpa Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, lässt sich vor einer Kabinettssitzung von der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml gegen Grippe impfen. 

Kaum ein Mensch versteht die Krise. Zu diesem Schluss kommt, überspitzt formuliert, eine Studie der Universität Hohenheim. In Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen clavis verglichen die Forscher die Kommunikation der deutschen und der österreichischen Bundesregierung sowie der deutschen Landesregierungen im laufenden Jahr 2020.

Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen

Um es vorweg zu nehmen: Die Pressemitteilungen der österreichischen Bundesministerien sind im Schnitt etwas verständlicher als die Mitteilungen der deutschen Bundesministerien, in Deutschland schneidet das Finanzministerium am besten ab, den letzten Platz belegt das Justizministerium.

Hinter der Studie steckt die Überlegung, dass Regierungen ihr Handeln verständlich darlegen und begründen müssen. Und dies nicht nur für Experten, sondern für alle Bürger, unabhängig von deren Vorwissen und Bildungsstand. Schließlich gilt: Nur wer verstanden wird, kann auch überzeugen.

Die Corona-Pandemie liefert zig Beispiele: Wenn Menschen akzeptieren, weshalb sie Masken tragen sollen oder warum es gilt, Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, tragen sie einschränkende Maßnahmen mit. Wenn Bürger hingegen Parteipolitik in der Kommunikation spüren, führt dies zu einer Abwehrhaltung.

"In Krisenzeiten suchen Menschen Informationen und Orientierung", meint der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim. "Und deshalb sollen die Informationen zur Corona-Pandemie und den staatlichen Schutzmaßnahmen besonders verständlich sein. Sie sind es aber nicht."

Professor Brettschneider und dessen wissenschaftliche Mitarbeiter analysierten in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen clavis über 500 Pressemitteilungen der deutschen und der österreichischen Bundesregierung.

Sie durchkämmten mehr als 3500 Antworten auf die am häufigsten gestellten Fragen der deutschen Ministerien auf Bundes- und Landesebene. Und dabei stießen die Wissenschaftler auf schwer verdauliche Kost: Schachtelsätze mit bis zu 80 Wörtern, Fachjargon, Fremdwörter, Begriffsungetüme und Verwaltungsdeutsch.

Ein Bandwurmsatz aus Bayern

Ein Bandwurm aus dem Bayerischen Gesundheitsministerium: "Stellt sich die ambulante Versorgungslage in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt bereits (deutlich) problematisch dar, lassen sich Schwerpunktpraxen oder Teststellen nicht reibungslos etablieren und betreiben, stellt die Verfügbarkeit von erforderlicher Schutzausrüstung ein wiederkehrendes Problem dar oder treten kurzfristig unvorhersehbare, besondere Ereignisse auf, dann dürfte aber eher davon auszugehen sein, dass die Aufgabe eines Versorgungsarztes einer Vollzeitbeschäftigung entspricht und auch nur mit zusätzlicher Hilfe des einzusetzenden Arbeitsstabes bewältigt werden kann."

Neben endlos langen Sätzen wie diesen irritieren zahlreiche Fremd- und Fachwörter, denn Information bieten Wörter wie "Corona Matching Faziliät", "respiratorische Erreger" oder "asymptomatische Infektion" nicht.

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, an der Universität Hohenheim untersucht seit 15 Jahren die formale Verständlichkeit zahlreicher Texte: Analysiert werden Wahlprogramme, Medienberichterstattung, Kunden-Kommunikation von Unternehmen, Verwaltungs- und Regierungskommunikation oder Vorstandsreden von DAX-Unternehmen.

Von Doktorarbeit bis Hörfunk-Nachrichten

Möglich werden diese Analysen durch eine Software, die nach überlangen Sätzen und Fachwörtern sucht. Anhand dieser Merkmale wird der "Hohenheimer Verständlichkeitsindex" gebildet; er reicht von schwer verständlich (0) bis leicht verständlich (20).

Zum Vergleich: Doktorarbeiten in Politikwissenschaft haben eine durchschnittliche Verständlichkeit von 4,3 Punkten. Hörfunk-Nachrichten kommen im Schnitt auf 16,4 Punkte.

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