NN-Kommentar

Freie Fahrt für Rot-Grün-Gelb! Mit der Ampel in die Zukunft

24.11.2021, 16:49 Uhr

© Oliver Boehmer, NN

Gestalten statt verwalten, digitalisieren statt dilettieren: Diesem hohen und selbst gesteckten Anspruch muss die Ampelkoalition, die in den kommenden vier Jahren die Republik regiert, gerecht werden. Nach dem quälend langen Finale der Merkel-Ära (die Kanzlerin hatte ihre guten Zeiten lange vor Corona) soll es nun Olaf Scholz richten. Ob das Bündnis der Wahlsieger von SPD, Grünen und Liberalen mehr wird als ein vierjähriges Intermezzo, kann derzeit niemand seriös beantworten.

Augenscheinlich ist hingegen der neue Stil, der ins Kabinett einzieht: "Hat Spaß gemacht!" twitterte zum Beispiel SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Ende der Verhandlungen. Von einem "neuen Möglichkeitsraum" sprach gewohnt philosophisch der designierte Vizekanzler Robert Habeck bereits zu Beginn der Sondierung. "Spaß" und "ermöglichen" hat kaum jemand mit Merkels Kabinetten in Verbindung gebracht. Da fielen schon eher Begriffe wie "Verlässlichkeit" und "moderieren".

Ob nun nach Wochen der bemerkenswert vertrauensvoll geführten Verhandlungen ein "Dokument des Mutes und der Zuversicht" (Habeck) vorliegt, muss abgewartet werden. Auf jeden Fall liegt ein gleichermaßen ambitioniertes wie auch realistisches Papier vor. Eines mit klarer Aussage: Klima hat Vorrang, im Zweifelsfall auch vor der persönlichen Wohlfühlzone.

So gesehen dürfte sich die politische Ampel zu Beginn ihrer Arbeit erstmal leicht tun - schließlich tut sich etwas. Das fängt schon bei der Ressortstruktur an. Das von Habeck geführte Klima-Superministerium weckt Hoffnungen bei all denen, die bislang von einer Umweltpolitik im Schneckentempo enttäuscht waren.

Und dass FDP-Chef Christian Lindner wunschgemäß das Finanzressort übernehmen kann, muss kein Schaden sein. Er wird das Geld zusammenhalten, schon allein um die liberale Klientel bei der Stange zu halten. Dass er eine Art Sonderstellung einnehmen soll, irgendwo zwischen Vizekanzler und Minister, lässt mehr auf sein ausgeprägtes Ego denn auf eine wirkliche neue Hierarchieebene schließen. Im Regierungsalltag spielen ohnehin weder Habeck noch Lindner die erste Geige, der Kanzler allein hat die Richtlinienkompetenz inne.

Olaf Scholz wird allenfalls homöopathisch dosiert von seinem Recht des letzten Wortes Gebrauch machen - weil er klug genug ist, die besondere Systemarchitektur des ersten wirklichen Dreierbündnisses in der Geschichte unseres Landes stets im Hinterkopf zu haben. Zumal mit SPD, Grünen und FDP auch erstmals die alte Lagerlogik (also entweder ein Links-, ein Rechtsbündnis oder eine GroKo als Notlösung) überwunden wird.

Entsprechend spannend liest sich der mit viel Getöse präsentierte Koalitionsvertrag. Von allem ein bisschen, von nichts zu viel, so ließe sich das Werk mit pessimistischem Blickwinkel zusammenfassen. Ins Positive gedreht: Dieser Vertrag enthält erhält allerdings auch ein paar echte Neuerungen - ein auf 16 gesenktes Wahlalter, eine Aktienrente als Ergänzung zur schon lange bröckelnden Altersvorsorge sind nur zwei Beispiele, die aufhorchen lassen.

Müßig ist die Frage nach Gewinnerin und Verlierern. Natürlich kann sich die FDP rühmen, ein Tempolimit verhindert zu haben, ebenso hätte die SPD allen Grund zu Feiern, wenn es um den angehobenen Mindestlohn geht, und die Grünen könnten die Korken knallen lassen, weil sie ambitionierte Klimaziele in das Dokument verhandelt haben.

Am Ende sind alle Partner gut beraten, still zuhalten. Denn das Trio kann nur als Team über die Runden, sprich: die Legislaturperiode, kommen. Auch das im Übrigen ein wohltuender Unterschied zu GroKo. Da drängte sich mit jedem Monat das verging, der Wunsch nach Ablösung auf. Die Ampelkoalition steht hingen für Erlösung - Schluss mit dem Sich-gegenseitig-kritisch-Beäugen. Mehr Fortschritt wagen, dieses Leitmotiv lässt hoffen, auch weil endlich die Interessen junger Menschen in den Fokus einer Bundesregierung rücken werden. Das ist ein starkes Signal!

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