Freiheit im Freibad

10.8.2018, 08:00 Uhr
Freiheit im Freibad

© Stadtarchiv Neustadt/Aisch

Denn es war die beste Leistung bei meiner 1972 abgelegten Prüfung zum Rettungsschwimmer (das klingt besser als DLRG-Grundschein). 38 Meter Streckentauchen, verlangt waren 25.

Der Weg dorthin war lang, es dauerte fünf oder sechs große Ferien in Neustadt/Aisch, meiner Heimatstadt. Die begannen immer gleich: Erst nach Hause, mit dem Zeugnis in der Tasche. Die Noten mal besser, mal schlechter. Und dann, nach dem Mittagessen, Badesachen in die Tasche, für den kleinen Hunger zwischendurch ein Stück Stadtwurst, zwei Brötchen und eine saure Gurke. Zur Unterhaltung, falls nötig: Micky Maus, Karl May oder später das Zentralorgan der Pubertierenden aller Bundesländer, die Bravo.

Ab aufs Fahrrad, über die Wiese, verbotenerweise einen Steilhang hinunter, über den Strahlbach und dann Richtung Osten, bis zum Waldbad. Das erste Mal im Jahr 1966, als es eröffnet wurde. Das war im zarten Alter von elf Jahren. Und dann jeden Sommer wieder. Denn Wegfahren in Urlaub war nicht, das Reihenhaus der Familie musste schließlich abbezahlt werden. Und daheim war: Langeweile, gähn. Das Fernsehprogramm startete erst um 16.40 Uhr, bis zum Siegeszug des Internets sollte es noch Jahrzehnte dauern.

Wärmespender Dusche

Doch das Bad war die große Freiheit. Von den Eltern, vom Lernen, von der Schule, an der die Unterrichtsmethoden, nun ja, rustikal waren. Dafür Kumpels aus der Nachbarschaft oder Klassenkameraden. Schlechtes Wetter war kein Gegenargument — dann gab es eine warme Dusche, wenn die Lippen blau angelaufen waren. Kostete ein paar Pfennig extra, aber dafür war der Eintritt praktisch kostenlos, weil mit einer Dauerkarte für zehn oder 20 Mark abgegolten.

Die Interessen änderten sich: Erst war’s die große Rutsche ins Nichtschwimmerbecken, am liebsten auf dem Bauch, mit dem Kopf voran. Was der Bademeister allerdings gar nicht gern sah. Oder auf Knien. Oder, besonderer Nervenkitzel, mit dem Rücken zuerst.

Die großen Jungs aber, das bekamen wir Freunde so nach zwei, drei großen Ferien mit, trieben sich am Schwimmerbecken herum. Mit Mädchen, die bisher nur deshalb interessant waren, weil sie so herrlich quietschten, wenn sie nass gespritzt wurden. Bloß: Wir konnten nicht schwimmen. Schlecht.

Also: Lernen. Morgens. Mittags. Abends. Bis es klappte. Und dann ans große Becken, zu den großen Jungs. Ins Wasser. Ins Wasser? Die Knie schlotterten, der Magen krampfte. Bis Eva kam: "Kannst Du schwimmen?" "Ja." "Kannst Du wirklich schwimmen?" "Ja." Ein Stoß von ihr, und ich platschte ziemlich unelegant ins Wasser. Und schwamm. Ab sofort keine Wasserrutsche mehr. Ich gehörte zu den großen Jungs, musste aber trotzdem noch viel lernen.

Denn die coolen Großen lagen lässig am Wasserrand, während die Mädchen unauffällig flanierten. Oder auch andersherum. Nassspritzen war hier weniger angesagt, das kapierte ich. Aber worum ging es stattdessen?

In der Bravo verlegte sich mein Interesse. Mit einem Starschnitt von Michael Landon als Little Joe in der TV-Serie Bonanza konnte ich nicht mehr punkten, das merkte ich schnell. Also, zu den Flirttipps blättern. Aber Lesen ist das eine, erfolgreich Anwenden das andere. Selbst Oswald Kolles Serie "Deine Frau, das unbekannte Wesen" in der Neuen Revue half nicht entscheidend weiter.

Das blieb so, bis die großen Ferien zu Ende waren. Mit den letzten paar warmen Tagen Anfang September.

Aber im Jahr darauf kamen wieder große Ferien, und da klappte es noch besser mit dem Schwimmen. Frei-, Fahrten- und Jugendschwimmer. Und dann sogar mit Kopfsprüngen vom Fünf-Meter-Turm, die einem Bewunderung ohne Ende einbrachten. Aber trotzdem: kein Erfolg bei den Mädchen.

Also: Vielleicht musste es der Rettungsschwimmer sein; die Jungs, die am Beckenrand in weißen Hosen patrouillierten, wirkten ja besonders attraktiv. Gemeinsam mit meinem Jugendfreund Rolf machte ich mich dran. Übte Wiederbelebung und Befreiungsgriffe. Schwamm, schwamm, schwamm, selbst vollständig angezogen. Konnte zwar immer noch keine Mädchen abschleppen, dafür meinen Kumpel. Wenigstens im Wasser.

Und musste in der Prüfung nicht nur tauchen, sondern auch Rückenschwimmen. Ohne Hilfe der Arme. 15 Minuten lang. Ich gestehe: Ich wäre fast ertrunken. Und, bei dieser Gelegenheit: Danke, Herr Bacherle, dass sie als Prüfer gnädig weggeguckt haben.

Freiheit im Freibad

© Horst Linke

Jetzt hatte ich das Signet des Rettungsschwimmers auf meiner Badehose. Leider hat es das Mädchen mit schwarzen Haaren, blauen Augen und farblich passendem Bikini, in das ich mich zwischenzeitlich verguckt hatte, so überhaupt nicht beeindruckt. Andere vielleicht schon, aber wenn: Ich habe es nicht bemerkt.

Ja, das Neustädter Waldbad in den großen Ferien war Klamauk und gute Unterhaltung. Aber es war mehr: eine Schule fürs Leben. Gelernt habe ich: Ausdauer bringt Erfolg. Beim Schwimmen sowieso. Und irgendwann sogar im zwischenmenschlichen Bereich . . .

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