Blick in die Zukunft

Gefahr durch Viren: Warum die nächste Pandemie bereits lauert

7.9.2021, 06:00 Uhr
Die Asiatische Tigermücke kann gefährliche Viren übertragen und ist bereits in Teilen Deutschlands heimisch - zum Beispiel in Fürth.

© James Gathany/CDC Die Asiatische Tigermücke kann gefährliche Viren übertragen und ist bereits in Teilen Deutschlands heimisch - zum Beispiel in Fürth.

Als die Medien Ende 2019 erstmals über das Auftreten eines neuartigen Virus in China berichteten, hatte das zunächst wenig Aufregerpotenzial. Manche machten gar Witze über den „China-Schnupfen“. Doch nur wenig später hatte Sars-Cov-2 seinen Siegeszug rund um die Welt angetreten und selbst weit fortentwickelte Gesellschaften an der Rand der Belastungsgrenze gebracht. Manchmal sogar ein Stück darüber hinaus.

Zwischenzeitlich schien die Gefahr beherrschbar, doch mittlerweile geht ein Land nach dem andern wieder in den Lockdown, die Inzidenzen und der noch aussagekräftigere R-Wert (er beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt) steigen. Und das wird kaum das letzte Mal gewesen sein, dass Staaten massiv in Grundrechte eingreifen müssen, um Menschenleben zu schützen und zu retten. Virologen rund um den Globus sind sich einig, dass der Sprung lebensgefährlicher Viren vom Tier auf den Menschen – im Fachjargon heißt das eine „Zoonose“ - in Zukunft eher häufiger als seltener zu beobachten sein wird.

Klimawandel spielt eine große Rolle

Unsere Weise, mit dem Planeten umzugehen, trägt fleißig dazu bei. Es gibt eine ganze Reihe wissenschaftlicher Aufsätze, in denen thematisiert wird, dass das Bevölkerungswachstum, die fortschreitende Zerstörung der Natur, die Globalisierung sowie der Klimawandel ihren Teil dazu beitragen, Zoonosen zu begünstigen. So hielt das Fachmagazin Nature bereits im Jahr 2010 fest, dass sich nahezu jede zweite Krankheit, die vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist, mit veränderter Landnutzung, Landwirtschaft oder der Veränderung von Essgewohnheiten in Verbindung bringen lässt.

Viren, die für ihre tierischen Wirte meist oft nur lästig sind, können beim Menschen tödliches Potenzial entwickeln – so wie das Coronavirus. Weitere Beispiele sind das Zika-und das Ebola-Virus, die Vogelgrippe H5N1, Mers und, das wird bisweilen vergessen, das HI-Virus, das beim Menschen Aids auslöst. Prinzipiell gilt: Überall dort, wo Mensch und Tier auf engem Raum zusammenleben, erhöht sich das Risiko einer Zoonose. Das gilt für die berüchtigten Wildtiermärkte in Asien, war zuletzt aber auch ganz woanders zu beobachten: Im Februar dieses Jahres infizierten sich mehrere Mitarbeiter einer Geflügelfarm in Russland mit dem Vogelgrippe-Virus H5N8.

Doch Gefahr droht nicht nur durch mutierte Viren, sondern auch aus einer ganz anderen Richtung: aus Süden. Und dazu braucht es noch nicht mal eine Zoonose. Durch den fortschreitenden Klimawandel verschieben sich über Jahrtausende etablierte Klimazonen vom Äquator schleichend in Richtung Nordpol. Das bedeutet: Das Wetter wird hierzulande wärmer und milder. Damit wandern Insekten nach Europa, die hier ansonsten nicht überleben könnten und gefährliche Krankheiten übertragen.

Angst vor Gelbfieber und dem West-Nil-Virus

In den letzten Jahren haben sich in Südeuropa bereits mehrere Menschen mit dem Dengue- und dem Chikungunya-Virus infiziert - übertragen von Asiatischen Tigermücken, die früher nur in Afrika heimisch waren. Sie leben inzwischen auch in Teilen Deutschlands, nachgewiesen sind sie in Baden-Württemberg, Thüringen, Hessen und Bayern - in einer Kleingartenanlage in Fürth. Auch Gelbfieber oder das West-Nil-Virus könnte schon bald deutlich häufiger auftreten, warnen Ärzte. Bei älteren Menschen oder solchen mit gewissen Vorerkrankungen kann es nach einer Infektion zu schweren Verläufen kommen.


Milliarden Mücken - Experte sieht Plage auf Franken zukommen


Selbst heimische Mücken können Tropenkrankheiten übertragen, wenn sie mit den entsprechenden Viren infiziert sind. Erste Fälle sind seit 2019 dokumentiert, und viele wurden wahrscheinlich gar nicht entdeckt, weil die Krankheit einen milden Verlauf nahm. "Es hat noch nicht geknallt, aber die Wahrscheinlichkeit steigt. Je wärmer es in Deutschland wird, umso besser sind die Bedingungen dafür, dass sich die Viren in den Mücken vervielfältigen", zitiert der Bayerische Rundfunk Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung.

Zu guter Letzt trägt auch die Globalisierung dazu bei, dass Insekten, die gefährliche Erreger in sich tragen, an Orte gelangen, an denen sie normalerweise nicht vorkommen. Der Tigermücke, heißt es beispielsweise, nütze vor allem der weltweite Handel mit Gebrauchtreifen: Per Schiff kommen alte Reifen aus Asien nach Europa, wo sie zerschreddert und unter anderem für den Straßenbau genutzt werden. Vor ihrer Reise um den halben Globus waren die Reifen auf Deponien aber oft mit kleinen Wasserpfützen gefüllt und wegen anhaltend hoher Temperaturen ideale Brutstätten - so gelangen Mücken und ihre Eier auch nach Europa.

Doch die Experten sind alarmiert: Damit sich ein Virus nicht mehr derart rasant global pandemisch ausbreiten kann wie Sars-Cov-2, gibt es diverse Initiativen. Eine, die besondere Beachtung verdient, ist die Online-Datenbank „SpillOver“. Dort sind derzeit fast 900 zoonose-verdächtige Viren aufgelistet. Wichtig für die Beurteilung der Gefährlichkeit ist etwa, ob ein Krankheitserreger nicht nur eine, sondern verschiedene Tierarten befallen kann. Ein weiterer Indikator ist, ob jene Tiere z.B. wegen Entwaldungen, intensiver Landwirtschaft oder Städtebildung in engem Kontakt zum Menschen leben.

Bleiben die Ausbrüche regional begrenzt?

Eine Reihe von Fachleuten geht zwar davon aus, dass die Mehrzahl der neuen Ausbrüche regional begrenzt bleibt. Bei Sars-CoV-2 seien außergewöhnlich viele Faktoren zusammengekommen, damit die Verbreitung ein derartiges Ausmaß erreichen konnte. Ein Blick in die Datenbank „SpillOver“ lässt einen dennoch zusammenzucken: Unter den ersten-20 Plätzen der dort aufgeführten risikoreichsten Viren sind allein fünf verschiedene Coronaviren, die bislang noch nicht Sprung auf den Menschen geschafft haben. Somit gilt für die nächste Pandemie derselbe Satz wie für einen tödlichen Hurrikan der Stufe 5 in der Karibik: „Die Frage ist nicht, ob er kommt. Die Frage ist, wann es so weit ist.“

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