Martin Stümpfig im Interview

Grünen-Politiker kritisiert: Im Kampf gegen den Klimawandel werden viele Chancen vergeudet

14.8.2021, 19:16 Uhr
Es muss nicht immer das Dach sein: Am Nürnberger Labenwolf-Gymnasium besteht die Fassade aus Photovoltaik-Modulen. Auch Lärmschutzwände an Autobahnen können die Energie der Sonne einfangen.

© Roland Fengler, NNZ Es muss nicht immer das Dach sein: Am Nürnberger Labenwolf-Gymnasium besteht die Fassade aus Photovoltaik-Modulen. Auch Lärmschutzwände an Autobahnen können die Energie der Sonne einfangen.

Herr Stümpfig, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will die Photovoltaik (PV) auf den Dächern staatlicher Gebäude vervierfachen. Das müsste Sie doch freuen.

Martin Stümpfig: Es gibt die stattliche Zahl von 8000 staatlichen Gebäuden im Freistaat. Davon sind ungefähr 200 Gebäude mit Photovoltaik belegt, das ist nur eins von 25 Dächern. Bei einer Vervierfachung wären es dann vier von 25. Das ist natürlich viel zu wenig. Man muss dahin kommen, dass ein Großteil der Dächer für Solarstrom genutzt wird, also 80 oder 90 Prozent. Natürlich ist nicht jedes Dach geeignet, manchmal gibt es Probleme mit der Statik oder dem Denkmalschutz. Aber meist lässt sich das mit kleinen Anpassung lösen, das weiß ich aus eigener Erfahrung von meiner Arbeit bei der Stadt Ansbach.

Wo gibt es weiteres Potenzial?

Stümpfig: Neben den Dächern lassen sich oft auch Teile der Fassaden nutzen. Da gibt es tolle Beispiele, wie das Labenwolf-Gymnasium in Nürnberg. Das Haus steht unter Denkmalschutz, dennoch konnte eine komplette Giebelwand mit Photovoltaikmodulen errichtet werden. Auch ästhetisch gesehen eine große Bereicherung. Vieles ist machbar, wenn man ein bisschen offener denkt. Wir könnten schon viel weiter sein bei den erneuerbaren Energien. Es ist sehr schade, dass die Staatsregierung die letzten zehn Jahre in Bayern vergeudet hat. Allein in staatlichen Bereichen gibt es noch viele Möglichkeiten.

Zum Beispiel?

Stümpfig: Bei Lärmschutzwänden könnte man strikt auf Photovoltaik setzen, einfach oben auf die Wände montieren. Die PV muss natürlich sehr fest verbunden werden, dass sie sicher sitzt, dazu gibt es auch eine DIN-Norm. Das ist machbar, auf mindestens der Hälfte aller Lärmschutzwände. Wir haben viele hundert Kilometer solcher Wände, nur ein Bruchteil wird zur Energiegewinnung genutzt. Es wird noch nicht einmal geprüft, was möglich wäre. In anderen Bundesländern wird mehr installiert, und das zeigt: Es geht, wenn man nur will. So ist das auch mit der Solarpflicht. In Baden-Württemberg wird das jetzt umgesetzt, auf Parkplätzen, Neubauten und teilweise auch bei Sanierungen. So kann man einen richtigen Solarboom schaffen.

Die Solarpflicht kommt zwar noch nicht in Bayern, aber Söder will sie im Bund unterstützen.

Stümpfig: Bei der Regierungserklärung hatten wir erwartet, dass er irgendetwas liefert. Wir dachten nicht, dass der Ministerpräsident sich mit leeren Händen hinstellt. Aber die Solarpflicht wird an den Bund verschoben. Es ist ein einziger Verschiebebahnhof. Der Bericht des Weltklimarates zeigt aber, dass wir nichts mehr verschieben dürfen. Ich hoffe wirklich, dass jetzt endlich eine Aufbruchsstimmung kommt. Jede Tonne CO2-Einsparung zählt, es muss ein Mosaik aus vielen verschiedenen Beiträgen geben. Dazu gehören Maßnahmen im Wärmebereich, ein Tempolimit und eben der Ausbau der erneuerbaren Energien.

In den bayerischen Staatsforsten sollen nun 500 neue Windkraftanlagen entstehen.

Stümpfig: Das ist traurig: Schon vor zwei Jahren hat Söder angekündigt, dass er 100 Windräder in den Staatsforsten aufstellen will. Auf meine Anfrage dazu habe ich vom Ministerium jetzt die Antwort bekommen: Es ist nichts passiert, keine einzige Anlage wurde errichtet. Und Söder sagt jetzt, wir machen nicht nur 100, wir machen 500 Anlagen. Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Und er sagt jetzt, auf Truppenübungsplätzen und in Staatsforsten könnte man die Abstandsregel 10 H (das Zehnfache der Höhe) aussetzen. Das ist so ein Murks, die Regel gehört abgeschafft. Die CSU hat sich da verrannt. Seit sieben Jahren gibt es diese Regel hier, seitdem ist die Windkraft in Bayern tot.

Bayern ist eher ein Sonnenland, so lautet das Argument.

Stümpfig: Wenn wir nur die Photovoltaik ausbauen, haben wir im Winterhalbjahr zu wenig Strom. Wir brauchen die Windkraft, die modernen Anlagen sind hocheffizient. Ich bin Mitglied im regionalen Planungsverband, wir haben viele gute Standorte gefunden, aber auf einen Schlag war mit der bayerischen Abstandsregel alles vorbei. Im ersten Halbjahr 2021 wurden bundesweit 240 Anlagen installiert, davon nur vier Stück in Bayern – obwohl wir 20 Prozent der Fläche von Deutschland haben. Baden-Württemberg ist nur halb so groß wie Bayern, hat aber 21 Windkraftanlagen installiert.

Wie viele Anlagen wären denn nötig?

Stümpfig: Wir brauchen bis 2030 in Bayern viermal so viel Photovoltaik und viermal so viel Windkraft, dann haben wir ungefähr 100 Prozent erneuerbare Energien. Natürlich stehen wir immer im Austausch mit den Nachbarregionen, mal haben wir Überschüsse, mal müssen wir importieren. Aber ohne Windkraft müssten wir im Winter phasenweise 60 oder 70 Prozent der Energie importieren. Das ist zu unsicher. Eine gleichmäßige Verteilung der Stromerzeugung ist stabiler und reduziert auch den Leitungsbau. Und es geht auch um Wertschöpfung, wir haben hier ja die Möglichkeit, Strom aus Windkraft zu erzeugen. Warum soll Schleswig-Holstein immer noch mehr machen und wir nicht? Es gibt inzwischen moderne Anlagen, die genau für die Bedingungen in Bayern konstruiert sind und mit einem größeren Rotor mehr Wind aufnehmen können – an der Küste gäbe es damit Probleme, da wäre zu viel Wind.

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