Umdenken setzt ein

Immer mehr Politiker dafür: Kommt jetzt die Corona-Impfpflicht in Bayern?

22.11.2021, 16:23 Uhr
CSU-Chef Markus Söder kämpft für eine Impfpflicht.

© Sven Hoppe, dpa CSU-Chef Markus Söder kämpft für eine Impfpflicht.

Für Markus Söder ist es ein Etappensieg. Wenn er über eine Impfpflicht gegen Corona redet, hat er seine Partei hinter sich. Im Vorstand trifft er auf "eine ganz große Übereinstimmung", sagt er nach einem Treffen. Generalsekretär Markus Blume hat derweil die Parteimitglieder befragt. Mehr als zehntausend haben demnach geantwortet: 80 Prozent tragen Söders Kurs mit.

Kein Wunder bei der Coronalage im Land. Bayern bleibt unter den drei Bundesländern mit den schlimmsten Inzidenzen; aktuell müssen ab Mittwoch neun Landkreise mit Inzidenzen jenseits der Tausender-Marke in den Lockdown, wenn die verschärften bayerischen Regeln in kraft treten. Für Söder ist das zwangsläufig. Die Welle baue sich zunächst im Südosten jenseits der bayerischen Grenze auf, sagt er; dann ziehe sie durch das Land und die Republik.

Politik muss sich korrigieren

Deutschland erlebt das gerade das vierte Mal. Das Impfen, das viele Politiker im Sommer noch als Rettung gepriesen hatten, erfüllt die Erwartungen bislang nicht. "Die Politik wäre gut beraten, wen sie sich korrigiert", sagt Fabian Mehring, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler im Landtag. "Es bricht ihr kein Zacken aus der Krone, wenn sie einräumt, dass die Sachverhalte sich geändert haben." Die Delta-Variante des Virus sei weit ansteckender als erwartet, die Wirkung der Impfstoffe kürzer als erhofft und die Impfbereitschaft weit niedriger.

Für Ludwig Hartmann von den grünen will Söder nur ablenken.

Für Ludwig Hartmann von den grünen will Söder nur ablenken. © Peter Kneffel, dpa

"Wir haben Delta unterschätzt und die kollektive Vernunft überschätzt", sagt Mehring. Auch Mehring drängt inzwischen wie Söder auf eine allgemeine Impfpflicht. Doch anders als Söder will er nicht mehr zuwarten. Söder will die Frage bis zum Frühjahr entschieden wissen; Mehring setzt darauf, dass die Impfpflicht bereits ab 1. Januar gelten müsste.

Akzeptanz gefährdet

Söder macht vor allem rechtliche Abwägungsfragen geltend, Mehring daneben praktische Überlegungen. Warte das Land bis zum Frühjahr so seine Sorge, müsse die Entscheidung in einer Phase sinkender Fallzahlen diskutiert werden. Das könne die Akzeptanz gefährden. "Und dann geht der Corona-Wahnsinn weiter", sagt er.

Es ist etwas in Bewegung. Selbst die FDP wackelt, bislang eine Bastion gegen Impfpflicht und harte Corona-Maßnahmen. Fraktionschef Martin Hagen kann "das wachsende Unverständnis für Impfverweigerer nachvollziehen", wie er sagt. Auch er wünscht sich, "dass Politik, Wissenschaft und Gesellschaft diese Debatte gründlich und in Ruhe führen". Wie Söder sieht er keine Chance, dass eine Impfpflicht die vierte Welle brechen könnte und deshalb keinen Grund zur Eile. Aber "kategorisch" lehnt er die Pflicht nicht ab.

Wirtschaft drängt

Hagen wäre wohl auch schlecht beraten. Nicht nur Ärzteverbände drängen auf eine Impfpflicht, auch die Wirtschaft tut es, in der die FDP einen Verbündeten sieht. Ihre Vertreter sehen die explodierenden Infektionszahlen als brandgefährlich für den Aufschwung nach drei Corona-Wellen. "Mit Überzeugungsarbeit sind wir nicht weit genug gekommen", sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. "An der Impfpflicht führt kein Weg vorbei", sagt er, "noch im laufenden Jahr".

So weit gehen die Grünen im Landtag nicht. Fraktionschef Ludwig Hartmann warnt, Söder wolle mit der Debatte von seinem eigenen Versagen ablenken. Bayern habe nicht alle Möglichkeiten ausgenutzt, "wie es den Impfstoff an die Leute bringen kann". Das Land habe "keine Impfstrategie".

Apotheken einbeziehen

Statt einer Pflicht will Hartmann zunächst neue Varianten erproben, etwa die Apotheken einbeziehen und medizinisch geschultes Personal in den Impfzentren einsetzen, damit mehr Tempo gemacht werden kann. "Ich bin kein Gegner einer Impfpflicht, wenn sie notwendig ist", sagt Hartmann. "Aber jetzt lenkt die Diskussion nur von den Problemen ab."

Und die anderen Fraktionen? Die SPD sucht ihre Position noch. Die AfD will "mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Corona-Diktatur" Söders vorgehen, gegen 2G und "Impf-Apartheid". Ein Begriff, denn auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger schon benutzt hat.

Aiwanger ist geimpft, aber erkennbar kein Freund der Impfpflicht ist, anders als sein Parteikollege Florian Streibl. Streibl beobachtet bei seinen Freien Wählern mittlerweile "ein Umdenken". Die Erkenntnis setze sich durch, "dass das für die Zukunft wichtig wird", bei allen rechtlichen Fragen, wie sich das umsetzen ließe. Die führt auch Aiwanger ins Feld und antwortet auf die Frage nach einer Impfpflicht mit einer Serie von Gegenfragen. Was damit gemeint sei, wer sie wie umsetzen solle, wer überhaupt geimpft werde, ob alle oder nur bestimmte Berufsgruppen. Eine Antwort bleibt er schuldig.

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