Armee rückt zur Hilfe

Katastrophenfall in Kliniken: Großbritannien kämpft mit Personalausfällen

7.1.2022, 10:17 Uhr
Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, besucht das Impfzentrum im Guttman Centre im Stoke Mandeville Stadium.

© Steve Parsons, dpa Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, besucht das Impfzentrum im Guttman Centre im Stoke Mandeville Stadium.

Mindestens acht Krankenhausstiftungen, zu denen teilweise mehrere Kliniken gehören, haben sich angesichts der heftigen Corona-Welle bereits zu diesem Schritt entschieden, wie die BBC am Dienstag berichtete. Krankenhäuser rufen dann den Katastrophenfall aus, wenn die Verantwortlichen der Ansicht sind, dass sie notwendige Behandlungen nicht mehr gewährleisten können.

Der Chef der NHS Confederation, in der Organisationen des nationalen Gesundheitsdienstes zusammengeschlossen sind, Matthew Taylor, schrieb der BBC zufolge in einem Beitrag: "In vielen Teilen des Gesundheitssystems sind wir aktuell im Krisenzustand". In einigen Krankenhäusern würden Beschäftigte bereits gebeten, freie Tage aufzugeben, damit der Betrieb aufrechterhalten werden könne.

Wegen Personalmangels: Armee rückt zur Hilfe

Das britische Gesundheitssystem gerät wegen der hohen Zahl an krankheitsbedingten Ausfällen beim Personal immer mehr unter Druck. Etwa 15 Prozent der Mitarbeiter in den Krankenhäusern der Region sind derzeit an Covid-19 erkrankt oder in Quarantäne. Bis Freitag hatten nach Angaben der Nachrichtenagentur PA allein in England 17 Krankenhausträger den Ernstfall ausgerufen, weil sie fürchten, wichtige Behandlungen nicht mehr gewährleisten zu können.

Wie die Verwaltung des Großraums Manchester am Mittwoch ankündigte, sollen nicht dringende Operationen in den Krankenhäusern der Region vorerst aufgeschoben werden. Nicht betroffen seien Krebs-, Herz- und Gefäßerkrankungen sowie Transplantationen, hieß es in der Mitteilung.

Wie das Verteidigungsministerium mitteilte, sollen in den kommenden drei Wochen 200 Militärangehörige in der britischen Hauptstadt im Einsatz sein. Außerdem sollen 32 Soldatinnen und Soldaten im Rettungsdienst aushelfen. Auch in anderen Teilen des Landes sind Militärangehörige im Einsatz, um die Behörden bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zu unterstützen.

Neue Testregeln - Einreise nach England erleichtert

Zudem kündigte die Regierung London am Mittwoch eine Änderung der Testregeln an: Corona-Infizierte müssen nach einem positiven Schnelltest demnächst keinen PCR-Test mehr machen, um ihre Infektion bestätigen zu lassen, sie müssen sich jedoch für sieben Tage in Quarantäne begeben. De facto wird die Quarantäne-Zeit damit erneut verkürzt, da das Warten auf das Ergebnis des PCR-Tests wegfällt. Die Änderung solle am 11. Januar in Kraft treten, kündigte die Chefin der nationalen Gesundheitsbehörde, Jenny Harries, am Mittwoch in London an.

Zuvor war die Dauer der Selbstisolation bereits von zehn auf sieben Tage verkürzt worden, um Personalausfälle in kritischen Branchen abzufedern. Infizierten mit Symptomen wird noch immer ein PCR-Test empfohlen. Mit Blick darauf, dass Antigen-Tests häufiger falsch positive Ergebnisse aufweisen, sagte Harries, dieses Risiko sei "sehr gering". PCR-Tests gelten als "Goldstandard" unter den Corona-Tests, die Infektionen verlässlich nachweisen. Antigen-Tests - auch als Schnelltests bekannt - sind günstiger und einfacher verfügbar, aber auch nicht so zuverlässig.

Auch für Einreisende gibt es Erleichterungen: Von Freitag an ist kein Test mehr vor der Einreise nach England notwendig, wie Premierminister Boris Johnson ankündigte. Weiterhin muss binnen 48 Stunden ein Test gemacht werden - allerdings kein PCR-Test mehr, sondern nur noch ein Schnelltest. Für Geimpfte fällt auch die Quarantäne bis zum Erhalt eines negativen PCR-Testergebnisses weg

Leere Regale wegen Lieferproblemen

Der Personalmangel habe sich auch schon in vielen Supermärkten bemerkbar gemacht. Die britische Zeitung Dailymail berichtet über lange Schlangen an den Kassen und leere Regale, vor allem bei Milch, Brot und Obst. Auch Lieferprobleme, die Großbritannien bereits nach dem Brexit getroffen haben, machen den Supermärkten zu schaffen. Dem Bericht zufolge erwägt eine erste große Kette bereits die Schließung einiger Märkte.

Überfüllte Mülltonnen, gestrichene Zugfahrten und komplizierter Schulstart

Überquellende Mülltonnen, die in der Cherry Street im Liverpooler Stadtteil Walton auf die Abholung durch die Müllabfuhr warten. 

Überquellende Mülltonnen, die in der Cherry Street im Liverpooler Stadtteil Walton auf die Abholung durch die Müllabfuhr warten.  © Peter Byrne, dpa

Auch in anderen Bereichen hinterlässt die hohe Zahl der Ansteckungen bereits Spuren: Aufgrund von Personalmangel kommt es in ganz England zu Verzögerungen bei der Müllabfuhr, wodurch sich in einigen Gebieten der Müll auf der Straße stapelt.

Zum Schulstart in England rechnen Schulleiter mit massiven Personalausfällen. Bahnverbindungen müssen bereits gestrichen werden. So ist der Rail Delivery Group zufolge einer von zehn Beschäftigten im Zugverkehr aktuell krank gemeldet.

Auf einer Anzeigetafel im Bahnhof Victoria Station steht, dass der Zugverkehr aufgrund der vielen Coronafälle und Personen, die sich in Quarantäne befinden, nur eingeschränkt in Betrieb ist.

Auf einer Anzeigetafel im Bahnhof Victoria Station steht, dass der Zugverkehr aufgrund der vielen Coronafälle und Personen, die sich in Quarantäne befinden, nur eingeschränkt in Betrieb ist. © Ian West, dpa

Absagen im Profifußball

Die Corona-Meldungen rund um den Profisport überschlagen sich zu Jahresbeginn. Den verschiedenen Branchen drohen ungemütliche Wochen. Das Programm in der englischen Fußball-Premier-League ist weiter ausgedünnt worden. Am 18. Dezember wurde die Begegnung zwischen Aston Villa und dem FC Burnley, die um 16 Uhr MEZ angepfiffen werden sollte, aufgrund eines Corona-Ausbruchs im Team der Gastgeber abgesagt. Aston Villa, der Klub aus Birmingham, konnte nicht mehr genügend Spieler aufbieten, sodass sich die Liga zur Absage der Partie entschloss.

Die Impfquote unter den Premier-League-Profis ist bei weitem nicht so hoch wie in anderen europäischen Ligen, bis November waren 31 Prozent noch nicht gegen das Virus geimpft.

Premierminister Boris Johnson hält an seinem Plan fest

Premierminister Boris Johnson gestand ein, dass der Druck auf das Gesundheitssystem voraussichtlich noch mehrere Wochen anhalten wird. Bislang wehrt sich die britische Regierung jedoch trotz Rekord-Neuinfektionszahlen, schärfere Maßnahmen einzuführen und kündigte am Dienstag in London an, am sogenannten Plan B festzuhalten. Dazu gehört eine Maskenpflicht in Innenräumen, die Empfehlung, von zuhause aus zu arbeiten, und 3-G-Nachweise (also: geimpft, genesen oder getestet) für Clubs und Großveranstaltungen. Der Plan gilt seit mehreren Wochen.

Johnson begründet seine Linie damit, dass mittlerweile erwiesen sei, dass die in England und Schottland vorherrschende Omikron-Variante mildere Verläufe von Covid-19 verursache. Es kämen nicht mehr so viele Infizierte auf Intensivstationen. Neun von zehn Patienten auf den Intensivstationen hätten noch keine Booster-Impfung, hieß es. Johnson rief seine Landsleute erneut auf, sich eine Auffrischimpfung geben zu lassen.

Gesundheitsminister Sajid Javid sagte, militärische Kräfte sowie Freiwillige und Beschäftigte im Ruhestand würden den belasteten Gesundheitsdienst unterstützen.

Großbritannien ist noch immer fest im Griff der Omikron-Welle - auch wenn Experten Anzeichen für eine Abflachung in London erkennen. Am Donnerstag wurden landesweit knapp 180.00 Neuinfektionen gemeldet. Die Sieben-Tage-Inzidenz - die Zahl der Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner - wird mit knapp 1800 angegeben (Stand 1. Januar). Schätzungen zufolge war in London in der letzten Woche des vergangenen Jahres jeder Zehnte mit dem Coronavirus infiziert.

Dieser Artikel wurde am Freitag, 7. Januar, gegen 10 Uhr aktualisiert.

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