Kommentar: Aufnahme der Flüchtlingskinder nur erster Schritt

9.3.2020, 13:36 Uhr
Eine Migrantin trägt ihr Kind in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze. Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen für offen erklärt hat, versuchen Tausende Flüchtlinge und Migranten ins EU-Land Griechenland zu kommen.

© Emrah Gurel, dpa Eine Migrantin trägt ihr Kind in der Nähe der türkisch-griechischen Grenze. Nachdem die Türkei Anfang März ihre Grenzen für offen erklärt hat, versuchen Tausende Flüchtlinge und Migranten ins EU-Land Griechenland zu kommen.

Manchmal fragt man sich als Journalist, ob es nicht doch angebracht wäre, ab und an Fotos abzudrucken, die es aufgrund gewisser moralischer (und zu Recht bestehender) Richtlinien nicht in die Zeitung oder ins Internet schaffen. Um den Menschen in Europa vor Augen zu halten, was nicht weit von ihnen entfernt geschieht.

Bilder aus der syrischen Provinz Idlib beispielsweise. Die Rauchwolke, die nach einem Raketenangriff über einem Dorf aufsteigt, das geht noch. Man sieht keine Opfer. Doch die Weißhelme oder andere Aktivisten vor Ort senden auch Fotos von dort, wo das Geschoss eingeschlagen ist. Da zieht es einem den Magen zusammen. Und man versteht sofort, warum die Menschen von dort fliehen, wenn sie nur irgendwie können. Alles ist besser als das Warten auf den Tod zuhause.

Sollte man meinen. Und dann sieht man Bilder aus Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln. Kinder in zerrissenen Hosen, ohne Schuhe, stehen in der Kälte im Matsch vor einem windigen Zelt, das ihr "neues Zuhause" ist, nachdem sie dem Morden in ihrer Heimat entkommen sind. Viele wissen nicht, wo ihre Eltern oder andere Verwandte sind. Manche wurden gar allein auf den Weg geschickt, in der Hoffnung, dass sie den Kampfhandlungen irgendwie entkommen können. Die Helfer dort sprechen von einer traumatisierten Generation.

Dublin-Regeln passen nicht immer

Und wir? Lassen die Griechen mit diesem Problem allein. Machen uns erpressbar, wenn der türkische Präsident die Grenze für ein oder zwei Tage öffnet und zehntausende Verzweifelte Einlass begehren nach Europa. Recep Tayyip Erdogan nutzt sie als Verhandlungsmasse, um seine Ziele durchzusetzen. Und wir können nichts dagegen tun, weil wir uns mit dem Flüchtlingsdeal sehenden Auges in seine Abhängigkeit begeben haben.

Europa muss, zumindest in Ausnahmesituationen, aufhören, auf die Dublin-Regeln zu pochen, die schlicht nicht funktionieren, wenn Hunderttausende Schutz suchen. Die Länder an den Außengrenzen der EU, allen voran Griechenland, Italien und Spanien, brauchen die Solidarität der Resteuropäer, wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht. Dass Berlin nun zumindest bis zu 1500 unbegleitete Kinder und Jugendliche aufnehmen will, kann nur ein erster Schritt sein. Ein erster Schritt in Richtung eines Verteilschlüssels, der jedem Land der EU nach dessen Möglichkeiten ein gewisses Kontingent an Flüchtlingen zuweist. Die Starken stemmen mehr, die Schwächeren etwas weniger.

Menschen in Not zu helfen, das gehört zu den christlichen Grundwerten, auf denen unsere Gesellschaft fußt. Und Solidarität ist das Fundament, auf dem die EU aufgebaut wurde. Der Umgang mit der Flüchtlingskrise ist ein Lackmustest, ob davon noch etwas übrig ist.

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