Kommentar: Brüsseler Spitzen

9.1.2013, 00:00 Uhr
Der EU-Sozialbericht verteilt auch Ohrfeigen an Berlin.

© JuanJo Martin (dpa) Der EU-Sozialbericht verteilt auch Ohrfeigen an Berlin.

Dabei ist Andors Analyse von einem gespaltenen Kontinent wenig verwunderlich. Hatte irgendjemand geglaubt, dass immer neue Sparrunden, von der Bankenrettung ausgelaugte Staatshaushalte und teils dramatisch gesunkene Einkommen neuen Wohlstand schaffen würden? Viel erstaunlicher ist, dass der Ungar auch im Jahr fünf der Krise teilweise ein schlichtes „Weiter so“ empfiehlt, um die Abwärtsspirale zu stoppen. So sollen noch schmerzhaftere Einschnitte in die sozialen Netze und Arbeitsmarktreformen nach dem Vorbild der deutschen Hartz-Gesetze helfen, die Krisenstaaten wieder flottzumachen.

Sozialdumping à la Hartz

Ausgerechnet Hartz: Mittlerweile müsste sich eigentlich auch bis nach Brüssel herumgesprochen haben, dass es genau diese Reform war, die nicht nur in Deutschland für einen massiven Anstieg der sozialen Ungleichheit gesorgt hat. Auch die europäischen Problemländer leiden darunter, dass sich Deutschland ein neues Heer an Billiglöhnern leistet, mit dem es noch konkurrenzfähiger seine Produkte auf die Weltmärkte bringen kann und wettbewerbsschwächeren Ländern wie Griechenland kaum Chancen lässt.

Allzu viel sollte sich die Bundesregierung daher nicht auf das mehrfache Lob aus Brüssel einbilden. Schließlich kamen die Sparauflagen etwa für Griechenland nicht zuletzt durch den massiven Druck der Regierung Merkel zustande. Das Ergebnis dieser Holzhammertherapie hat Andor in seinem Bericht eindrücklich beschrieben: Das reale Einkommen der Hellenen ist um 17 Prozent gesunken, die Arbeitslosigkeit dafür auf einen Rekordwert von 26 Prozent gestiegen.

Hinzu kommt, dass die Probleme Europas an Deutschland nicht mehr spurlos vorübergehen: Die Exporte in den Euroraum sind im November deutlich gesunken (Bericht S. 17), was natürlich viel damit zu tun hat, dass die Krisenländer kein Geld mehr haben, um sich Produkte „made in Germany“ zu leisten.

Unbequeme Wahrheiten

Zudem hat Andor — um zu den positiven Seiten seines Berichtes zu kommen — Berlin einige unbequeme Wahrheiten ins Stammbuch geschrieben. Etwa mit seiner Forderung nach einem allgemeinen Mindestlohn, der in vielen Ländern — aber eben nicht in Deutschland — inzwischen Standard ist.

Vor allem aber fordert der Kommissar von Berlin deutlich mehr europäische Solidarität. Etwa in Form einer vertieften Währungsunion, die nicht nur eine einheitliche Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik beinhalten würde, sondern auch höhere Transferleistungen der reichen Deutschen für die ärmeren europäischen Familienmitglieder. Die Forderung kommt nicht von ungefähr, denn der Sozialreport zeigt, dass die sozialen Ungleichheiten in den Euroländern stärker ausgeprägt sind als in den Nicht-Euroländern. Sprich: Die Eurozone leidet darunter, dass sie zwar eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Politik hat.

Das ist inzwischen bekannt, doch die Regierung Merkel stemmt sich weiter vehement gegen jede Veränderung. Und daran wird sich auch nichts ändern: Denn im deutschen Superwahljahr 2013 ist es allemal einfacher, den Krisenstaaten weitere Sparbemühungen abzuverlangen, als neue Lösungen anzubieten.
 

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