Kommentar: Den Bayerischen Landtag braucht es nicht mehr

5.9.2018, 05:53 Uhr
Spielt die politische Musik weitestgehend in Berlin und Brüssel? Ja, findet Dieter Schwab und spricht sich für die Auflösung des Landtags aus.

© Peter Kneffel (dpa) Spielt die politische Musik weitestgehend in Berlin und Brüssel? Ja, findet Dieter Schwab und spricht sich für die Auflösung des Landtags aus.

Nein, nicht mehr. Erinnern wir uns: Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten nach Krieg und Massenmord einen Staat schaffen, in dem der Faschismus keine Chance mehr hat. Also haben sie die Macht verteilt. Auf Regierung, Bundestag und Länder. Die Europäische Union war damals, wenn überhaupt, ein schöner Traum. Und Globalisierung gab es noch nicht einmal als Wort. Heute gibt es mit der EU eine weitere Entscheidungsebene, an die der Bundestag einen Gutteil seiner Befugnisse delegiert hat. Gut so. Ein gemeinsamer Markt kann anders nicht funktionieren. Und er ist ein Motor des Wohlstands in unserem Land.

Was aber bleibt den Ländern? Schulpolitik zum Beispiel. Mit dem Ergebnis, dass ein Umzug von einem Bundesland ins andere für Schülerinnen und Schüler eine mittlere Katastrophe ist. Die anderen Ferienzeiten sind dabei noch das geringste Problem. Aber: Andere Lehrpläne, andere Fächer, anderes Niveau. Ein Jahr ist da schnell verloren. Das behindert die Flexibilität von Arbeitnehmern mit Familie massiv.


Kommentar: Der Bayerische Landtag hat enorme Befugnisse


Oder: die Finanzverwaltung. Stellt eine Regierung mehr Steuerprüfer ein, bekommt sie zwar mehr Geld in die Kasse. Aber das fließt in einem wohlhabenden Bundesland wie Bayern zu einem sehr großen Teil in den Länderfinanzausgleich. Oder, bei schlechter Wirtschaftsleistung wie in den fünf neuen Ländern, wird es von dieser Transferzahlung abgezogen. Motivation in beiden Fällen: nahe null.

Oder: Arzneimittel. 16 Länderbehörden sollen die Sicherheit von Arzneimitteln kontrollieren, deren Wirkstoff aus China oder Indien stammt und die in London für den europäischen Markt zugelassen wurden. Das hört sich schon unsinnig an – und ist es auch. Kein Überwacher hat das Nitrosamin im Blutdrucksenker Valsartan entdeckt, und als die Hersteller selbst Alarm schlugen, herrschte erst einmal lange, lange erschrockenes Schweigen.

Das Zwischenfazit: Länderkompetenzen funktionieren knapp 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik nicht mehr. Wenigstens nicht gut. Bleibt die Angst vor einem neuen Faschismus. Sie wird wieder geweckt durch eine Verrohung der öffentlichen Debatte besonders über die Flüchtlingspolitik, die vor eineinhalb Jahrzehnten undenkbar schien.

Aber: Es gibt die europäische Ebene, mit zwei Gerichten, deren Urteile für die beteiligten Länder bindend sind. Ihr Einfluss müsste dann noch gestärkt werden – mit der angenehmen Nebenwirkung, dass dann Rechtspopulisten nicht mehr wie in Polen oder Ungarn Justiz und Meinungsfreiheit behindern könnten. Eine unrealistische Vision? Im Moment ganz sicher. Aber das war ein Europa ohne Krieg, aber mit weitgehend offenen Grenzen 1945 auch. Heute ist es Wirklichkeit, weil die Idee überzeugend war. Genauso wird sich die Vorstellung durchsetzen, dass Länderparlamente überflüssig sind. Und wenn es erst in Jahrzehnten ist. 


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