Kommentar: Eine Herausforderung für die Demokratie

24.9.2017, 20:44 Uhr
Kommentar: Eine Herausforderung für die Demokratie

© afp / Odd Andersen

Mit der AfD ist erstmals eine Partei im Bundestag vertreten, die sich gerne als bürgerlich bezeichnet, deren führende Repräsentanten es aber zulassen, dass die Trennlinie zwischen Patriotismus und völkisch begründetem Nationalismus nicht konsequent gezogen wird. Die AfD ist eine Partei, die Fundamentalopposition betreiben wird. Eine Partei, die den anderen, dem "System", der politischen Mitte, dem "Mainstream", wie deren Vertreter im sonst verhassten Denglisch gerne ätzen, den Kampf angesagt hat, und es stellt sich die Frage, wie der Bundestag damit umgeht. Am besten wohl: mit Haltung.

Gauland, Meuthen, Weidel und Co. werden sich über kurz oder lang selbst demaskieren und sich durch ihre inneren Konflikte schwächen. Wie steht es aber um die traditionellen Volksparteien? Sicher, mit Angela Merkel wird auch die nächste Bundesregierung von einer Frau geführt, für die purer Pragmatismus die Richtschnur der Politik ist. Merkel hatte in den bisher zwölf Jahren ihrer Kanzlerschaft mit zwei großen Krisen – der des Euro und der Migrationsproblematik – zu tun und nebenbei noch Entscheidungen getroffen, die der Union einen Teil dessen gekostet haben, was früher zum programmatischen Grundgerüst gezählt wurde.

Am Ende zählt das, was hinten rauskommt – Helmut Kohls Leitspruch bedeutet für Merkel zwar, dass sie ihre vierte Kanzlerschaft antreten wird, allerdings um den fatalen Preis einer deutlich geschwächten Basis.

Dass gerade die CSU mit zweistelligen Verlusten in Bayern dazu beitrug, zeigt, dass die Parteichefs Merkel und Horst Seehofer seit jener schicksalshaften Nacht des 4. September 2015, als die Kanzlerin die Grenzen für die Flüchtlinge öffnete und lange nicht mehr schloss, viele Fehler gemacht haben. Der größte: sich über Monate hinweg über den Begriff der "Obergrenze" gestritten zu haben, anstatt die gemeinsam beschlossenen Gesetzesverschärfungen im Bereich Asyl zu betonen. Ist Seehofer als CSU-Chef zu halten? In der Partei wird dies sicher diskutiert werden, denn in einem Jahr stehen die Landtagswahlen in Bayern an.

Die SPD indes muss sich fragen, wie es ihr gelingen kann, irgendwann wieder in die Nähe von wenigstens 30 Prozent zu kommen, die für eine glaubhafte "Volkspartei" nötig wären. Der Gang in die Opposition, den Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz angekündigt hat, ist richtig und bietet der SPD die Chance, wieder Profil zu entwickeln – und im Übrigen der AfD im Parlament nicht das Feld zu überlassen.


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Christian Lindner indes hat es geschafft, die FDP wiederzubeleben. Als reine Steuersenkungspartei will Lindner die FDP nicht mehr positionieren; er steht lieber für ein Lebensgefühl, in der Liberalität als Chancenermöglichung erscheint und weniger als Freiheit für den Stärkeren. Man darf gespannt sein, wie sich die FDP in einer neuen Bundesregierung schlägt. Wird Lindner den Fehler eines Guido Westerwelle wiederholen, der als vermeintlich starker Außenminister wirken wollte? Oder wird er sein rhetorisches Talent als Fraktionschef im Bundestag nutzen?

Die Grünen sind, wohl unverhofft und wegen der Absage der SPD an eine erneute Große Koalition, wieder zur wahrscheinlichen Regierungspartei geworden. Erstmals wird es wohl zu einer sogenannten "Jamaika-Koalition" aus Union, FDP und Grünen kommen. Das macht einerseits neugierig, weil es dieses Modell noch nicht gab; doch man sollte sich nicht zu früh freuen, denn die programmatischen Unterschiede zwischen den Parteien sind groß – auch und gerade in der Flüchtlingspolitik, die diese Bundestagswahl ja entschieden hat.

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