Kommentar: Gefährliche Markt-Logik

12.11.2011, 00:00 Uhr
Kommentar: Gefährliche Markt-Logik

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Die Rating-Agenturen sind, mit Sicherheit höchst unfreiwillig, drauf und dran, selbst die stärksten Antreiber einer strengeren Regulierung der Finanzmärkte zu werden. Sie spielen den Doktor Allwissend — und leisten sich gröbste Schnitzer: Vor drei, vier Jahren stellten sie den diversen Schrott-Papieren, die mitten hinein in die US-Immobilien- und Finanzkrise führten, bedenkenlos Top-Noten aus.

Konsequenzen hatte das kaum; nach wie vor bestimmen die drei US-Matadore das Rating-Geschäft. Wie das berühmte Kaninchen auf die Schlange starren vor allem die Staatschefs im Euro-Land auf die Bewertungen. Und nun? Versendet Standard & Poor’s „aus Versehen“ eine Herabstufung Frankreichs. Samt all den Folgen: Blitzschnelle Reaktionen an den oft computergesteuerten Märkten — bis zur Aufdeckung der Panne, für die, mal wieder, niemand persönlich verantwortlich gewesen sein will.

Verantwortlich ist: niemand

Das erinnert stark an die weder von den HRE-Managern noch von Wirtschaftsprüfern entdeckte Fehlbuchung bei der Bad Bank dieses zwangsverstaatlichten Instituts, als es um schlappe 55 Milliarden Euro ging, die alle übersahen. Oder an einige Panik-Tage an den Börsen, die ausgelöst wurden durch Pannen in den Programmen der dort rund um die Uhr das Geschäft mitprägenden Rechner. Verantwortlich war — richtig: niemand.

Erstaunen muss da allmählich, wie felsenfest nach wie vor etliche Ökonomen und Politiker an die ach so überlegene Logik jener Märkte glauben, die angeblich alles schon richtig regeln, wenn man ihnen nur freien Lauf gewährt und sie bloß nicht irgendwie einengt oder gar durch gesetzliche Eingriffe in ihre Schranken weist. Logisch sind die Märkte aber nur in ihrem geschlossenen System: Logisch, dass da Geld zu Geld kommt und erfolgreiche Staaten belohnt werden; logisch, dass abgestraft wird, wer nicht ordentlich wirtschaftet.

Diese Logik drücken die Märkte auch den Staaten im Euro-Land auf. Blöd nur, dass ihre Markt-Logik dort gravierende Folgen hat. Siehe Italien und Griechenland: Dort spülte die Markt-Macht, forciert vom deutsch-französischen Duo Angela Merkel und Nicolas Sarkozy, in dieser Woche die Regierungen weg. Im Falle von Silvio Berlusconi war das ein fast schon ironischer Sieg der Märkte, traf es mit ihm doch einen dazu noch kriminell veranlagten Profiteur neoliberaler Deregulierung.

Wem Zinsen schaden und nützen

Obwohl aber Athen und Rom hoffentlich vor dem gewiss fälligen Neuanfang stehen und ihr Staats-Versagen korrigieren müssen, verschärfen Spekulanten die Krise dieser Länder weiter: Die Zinsen ihrer Staatsanleihen sinken kaum; deren schwindelerregende Höhen machen ihre Rettung aus eigener Kraft schier unmöglich, mehren aber den Gewinn ihrer Kreditgeber, also der Anleger auf den Märkten.

So spart sich Euro-Land weiter in die Krise hinein — oder angeblich gesund. Sagt notgedrungen Sarkozy. Sagt Merkel, obwohl sie selbst den Rezepten keineswegs folgt, die sie anderen aufdrückt: Deutschland erhöht wegen unsinniger Steuergeschenke zur Gesichtswahrung kränkelnder Koalitionspartner seine Schuldenlast sogar, obwohl die Einnahmen kräftiger sprudeln.

Alles logisch. So logisch, dass die seriöse, liberale Zeit nach „Alternativen zum Kapitalismus“ sucht. So logisch, dass auch dieses Wochenende wieder protestiert wird gegen eine Logik, die Wirtschaft pervertiert, weil sie immer weniger Menschen nützt, vielen aber schadet.
 

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