Kommentar: Besuch einer KZ-Gedenkstätte sollte verpflichtend werden

27.1.2020, 10:23 Uhr
"Halt! Stoj!" steht auf einem Holzschild am Tor zum Konzentrationslager Auschwitz. 2020 jährt sich die Befreiung des Lagers zum 75. Mal.

© Michael Kappeler (dpa) "Halt! Stoj!" steht auf einem Holzschild am Tor zum Konzentrationslager Auschwitz. 2020 jährt sich die Befreiung des Lagers zum 75. Mal.

Hinter jedem der sechs Millionen Holocaust-Opfer steht ein Name und ein Schicksal – und es liegt an jedem Einzelnen von uns, dass sich dieses Grauen nicht noch einmal wiederholt.

Wer waren Klara Goldstein, Hermann Otto oder Franz Engel, um nur drei Namen zu nennen, die auf Koffern in Auschwitz zu lesen sind? Wo kamen sie her, was erträumten sie sich für ihr Leben? Wer waren die Menschen, die sie vermutlich nur kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Auschwitz ins Gas trieben? Und vor allem: Wie hätte ich mich in einer ähnlichen Situation verhalten?


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Es sind existenzielle und nach wie vor hoch aktuelle Fragen, über die sich in einem Konzentrationslager nachdenken lässt. Aktuell deshalb, weil der Ruf "Nie wieder Auschwitz" leider weitgehend ungehört verhallt ist. Völkermorde hat es auch nach 1945 trotz des mahnenden Beispiels der Shoah immer wieder gegeben, wie die Genozide in Kambodscha, Bosnien und Ruanda belegen. Die Gefahr, dass heute unbescholtene Bürger morgen zu Bestien werden, war und ist nach Auschwitz nie gebannt gewesen.

Eine liberale Demokratie tut daher gut daran, diese Bedrohung wahrzunehmen und entsprechend zu handeln – beispielsweise, in dem sie den Besuch eines Konzentrationslagers für alle Schüler zur Pflicht erklärt.


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Die Gedenkstätten in den ehemaligen Konzentrationslagern könnten auf diese Weise zu Immunisierungsorten gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Faschismus und Nationalismus werden. Dass einige rechtsnationale Politiker stattdessen von der Nazi-Zeit als "Vogelschiss in der deutschen Geschichte" oder einer "erinnerungspolitischen 180-Grad-Wende" schwadronieren, belegt nur, wie groß ihre Angst vor einer lebendigen, in die Zukunft gerichteten Erinnerungskultur ist.

Niemand muss persönlich Scham empfinden

Natürlich trägt kaum noch einer der heute Lebenden Verantwortung dafür, was damals geschehen ist. Niemand aus der Generation der Nachgeborenen muss persönliche Scham für Verbrechen empfinden, die er nicht begangen hat, wie Kritiker der Erinnerungskultur immer wieder fälschlich behaupten. Sehr wohl aber tragen wir die Verantwortung für den sorgfältigen Umgang mit dieser Erinnerung und sollten durchaus universelle Scham verspüren für das, was der Mensch immer wieder seinem Nächsten antut.

In diesem Sinne wird der Besuch in einem Konzentrationslager immer eine Zumutung bleiben. Wenigstens diese Zumutung sollten wir ertragen – das sind wir den Opfern von Auschwitz nach wie vor schuldig.


Anmerkung der Redaktion, 16.19 Uhr: Wir haben die Überschrift aufgrund berechtigter User-Kommentare angepasst.

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