Kommentar: Trump zeigt uns unsere hässlichen Seiten

27.1.2017, 08:34 Uhr
Der neue US-Präsident Donald Trump hält uns in mancherlei Hinsicht den Spiegel vor.

© dpa Der neue US-Präsident Donald Trump hält uns in mancherlei Hinsicht den Spiegel vor.

Und Trump investiert. In Stahl und Beton. Der Wall an der Grenze zu Mexiko, wenn er denn je errichtet werden sollte, wäre auch ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Bauindustrie und die dort arbeitenden Menschen. Also genau das, was gerade linke Politiker fordern, wenn Finanzminister Schäuble mal wieder nichts von seinen Haushaltsüberschüssen in die marode deutsche Infrastruktur stecken und stattdessen lieber das Defizit abbauen will.

Kernanliegen der Grünen

Trump kündigt Freihandelsabkommen — so wie es Hunderttausende bei den Anti-TTIP-Protesten gefordert haben. Trump stellt die Nato infrage — und greift damit unwissentlich etwas auf, was mal ein Kernanliegen der Grünen war. Und Trump flirtet mit Foltermethoden. Auch das sollte uns Deutschen nicht ganz unbekannt sein: Ein stellvertretender Frankfurter Polizeipräsident bekam zumindest von einem Teil der Öffentlichkeit Applaus, als er den Entführer eines Bankierssohns Folter androhen ließ.

Trump hält uns — so unangenehm uns das sein mag — in mancherlei Hinsicht einen Spiegel vor. Und wir sehen plötzlich einige hässliche Stellen oder zumindest Widersprüche, die wir vielleicht schon länger nicht mehr wahrnehmen — oder wahrnehmen wollen.


Lesen Sie hier den Kommentar zu Trump: "Der Empörungs-Präsident"


Auch und gerade was die in Deutschland und Europa so gerne in Sonntagsreden hochgehaltene Solidarität angeht. Trump will das winzige Fleckchen staatlicher Fürsorge, das sein Vorgänger Obama mit der Einführung einer gesetzlichen Krankenkasse geschaffen hatte, wieder einstampfen lassen. Ein Unding, natürlich, gerade für jene Geringverdiener, denen der Milliardär im Wahlkampf versprochen hatte, dass unter seiner Präsidentschaft ihr Leben ein besseres sein würde.

Aber kommt uns das nicht bekannt vor? Müssten wir uns nicht an die vergangenen zwei, von Neoliberalität besoffenen Jahrzehnte deutscher Politik erinnern, in denen der Sozialstaat gar nicht schlank und billig genug sein konnte? Sicher, der Rückbau der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung sowie der Sozialhilfe fand bei uns auf einem ganz anderen Niveau statt. Aber es gab ihn und er hat unter anderem jene Abgehängten geschaffen, die jetzt so gerne bemüht werden, wenn der Aufstieg der AfD und anderer Rechtspopulisten erklärt werden muss.

Und warum jault Europa auf, wenn Trump Strafzölle zum Schutz der US-Wirtschaft androht? Machen wir nicht zumindest ansatzweise das Gleiche? Schotten wir nicht auch unsere Agrarmärkte seit Jahrzehnten gegen Konkurrenz aus Afrika und Asien ab und tragen damit teilweise zu den Flüchtlingen bei, die wir in Europa nicht haben wollen?

Die Politik Europas und Deutschlands ist zwar weit von den brutalen Methoden Trumps entfernt — aber auch sie hat ihre blinden Flecken. Trumps Politik hingegen ist durch und durch falsch. Weil sie selbst dann, wenn sie vorgibt, den Interessen der kleinen Leute zu dienen, im Kern nationalistisch, autoritär und unsolidarisch ist und die Menschenrechte missachtet.

Farbe bekennen!

Gut, dass uns dieser narzisstische Lautsprecher im Weißen Haus jetzt dazu zwingt, Farbe zu bekennen. Europa wird dem Sturm, der da heraufzieht, nur widerstehen können, wenn es sich wieder auf die Werte besinnt, die seinen Kern ausmachen. Wenn es wieder der Kontinent des Rechts, der Freiheit und der Solidarität wird — und sich damit immun gegen die Verführungskünste der Populisten zeigt.

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