Kommentar: Warum der 9. November ein guter Nationalfeiertag wäre

9.11.2020, 10:44 Uhr
Menschen aus Ost- und Westberlin feiern die Öffnung der DDR-Grenzen am Brandenburger Tor.

© dpa Menschen aus Ost- und Westberlin feiern die Öffnung der DDR-Grenzen am Brandenburger Tor.

Bei den Franzosen ist das so – sie feiern am 14. Juli den 1789 erfolgten Sturm auf die Bastille. Die US-Amerikaner rufen am 4. Juli den Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung aus dem Jahr 1776 ins kollektive Gedächtnis der Nation. Und wir Deutsche? Wie haben den 3. Oktober zum Gedenken an die Wiedervereinigung. Auch so eine "gute Sache".

Leider verkürzen solche Tage das Erinnern auf unzulässige Art und Weise. Denn der eigentliche Wert der Geschichte erschließt sich nur durch einen ganzheitlichen Blick. Einen, der eben auch die Schattenseiten beinhaltet.

Deshalb wäre es wesentlich konsequenter, die Deutschen würden sich den 9. November als Nationalfeiertag wählen. Dieser Tag ist zwar nicht so "sauber" wie der 3. Oktober, doch er repräsentiert die jüngere deutsche Geschichte besser als jedes andere Datum.

Drei wichtige Ereignisse sind es, die sich am 9. November jähren:

1) Die Ausrufung der Republik im Jahr 1918. Damit endeten die Wirren des Ersten Weltkriegs in Deutschland. Der Abschluss der Novemberrevolution markiert zudem die späte Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland und das Aus für die Monarchie.

2) Die Pogromnacht von 1938. Die damals von den Nazis und ihren Anhängern begangenen Gewalttaten gegen jüdische Mitbüger markieren den Beginn des Holocausts. Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, ordnet den Tag richtig ein: "Die Reichspogromnacht stellt den Auftakt zur systematischen Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa dar. Der Tag ist zweifellos einer der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte."

3) Schließlich steht der 9. November auch für die Wiedervereinigung. Genauer: für den Fall der Mauer im Jahr 1989.

Überfällige Debatte

Dieser unperfekte Dreiklang macht den 9. November zum perfekten Repräsentanten einer wechselvollen Historie. Angesichts eines nicht nur in Deutschland aufkeimenden Antisemitismus, angesichts der weltweit zu beobachtenden Bedrohungen für Demokratien wäre eine Debatte über einen Wechsel vom 3. Oktober auf den 9. November wünschenswert. Damit ist leider nicht zu rechnen. Denn diese Diskussion ist unbequem, sie ruft die Populisten auf den Plan und sie fordert zum Nachdenken heraus.

Dennoch wäre sie angebracht. Andreas Wirsching, Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte und einer der führenden Historiker des Landes, sagt mit Blick auf das heutige Datum: "Ein Tag, der weitaus schwieriger ist als der scheinbar ,unschuldige‘ 3. Oktober – aber ich hätte ihn trotzdem zum Nationalfeiertag gemacht."

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