Kommentar zur Pisa-Studie: Ein Armutszeugnis für ein reiches Land

3.12.2019, 12:26 Uhr
Der schulische Erfolg hängt in Deutschland stark vom Elternhaus ab.

© Sven Hoppe, dpa Der schulische Erfolg hängt in Deutschland stark vom Elternhaus ab.

Aus Studien lässt sich oft vieles herauslesen und in die eine oder andere Richtung deuten. Das ist beim jüngsten Pisa-Test der OECD nicht anders, doch einige Sachverhalte lassen keinen Spielraum für Interpretationen zu. So sind, insgesamt besehen, Deutschlands 15-Jährige im Vergleich mit gleichaltrigen Kindern aus anderen Staaten zurückgefallen – nicht dramatisch, aber doch messbar. Verbesserungen, die in den letzten Jahren erzielt worden waren, sind augenscheinlich wieder verloren, sowohl beim Lesen als auch in Mathematik und Naturwissenschaften.

Zwar liegen deutsche Schüler nach wie vor leicht über dem Durchschnitt der anderen OECD-Länder – allerdings nur, auch das ist der Studie zu entnehmen, weil die Leistungen in einigen Staaten aus der Spitzengruppe (etwa Finnland oder Australien) ebenfalls nachgelassen haben. Teenager aus Estland, Finnland, Hongkong, Irland, Kanada, Neuseeland oder Polen haben eindeutig mehr auf dem Kasten.

16 verschiedene Bildungssysteme

Kaum liegt die Untersuchung vor, melden sich die Bildungspolitiker, machen besorgte Mienen und sagen Sätze wie "Dass Deutschland in etwa auf dem Niveau des Jahres 2000 und international nur etwas über dem Durchschnitt liegt, kann für uns nicht der Maßstab sein" (Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, CDU) – anstatt das deutsch-föderale Bildungs-Kuddelmuddel ein für allemal zu beenden und ein modernes, bundesweit einheitliches Schulsystem anzustoßen. Vergleichbar entwickelte Staaten leisten sich nicht 16 verschiedene Bildungssysteme, sondern steuern die schulische Laufbahn zentral – und haben damit deutlich mehr Erfolg.

Diese Debatte soll an dieser Stelle nicht geführt werden, eine andere aber schon, denn auch darum dreht sich die Pisa-Studie. Deren Autoren machen sehr deutlich, dass der schulische Erfolg in Deutschland wie schon in vorangegangenen Untersuchungen weit mehr vom Elternhaus abhängt als im Durchschnitt der OECD. Zusammengefasst bedeutet das: Wer wohlhabendere Eltern oder solche mit einem hohen Schulabschluss hat, hat weitaus bessere Chancen, gut abzuschneiden. Das darf nicht sein. Und es muss auch nicht sein, Italien oder die Niederlande haben laut der Pisa-Studie Strategien entwickelt, um einen derartigen Missstand abzumildern.

Bei uns hingegen driftet die Gesellschaft zunehmend auseinander, und daran ist auch unser Bildungssystem schuld. Wer heute in der Schule schlecht abschneidet, landet morgen eher in prekärer Beschäftigung und hat weniger Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe – was sich wiederum auf seine/ihre Nachkommen auswirken wird. Dass ist der Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Ansonsten wird ein großes Segment der Bevölkerung immer mehr abgehängt. Und das ist ein Armutszeugnis für ein reiches Land, dessen einzige wirklich unerschöpfliche Ressource der Geist ist.

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