Leutheusser-Schnarrenberger: "Großer Schaden für die FDP"

6.2.2020, 19:08 Uhr
Mit der Rolle ihrer Partei im Thüringer Landtag ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht glücklich.

© Sebastian Zelada Mit der Rolle ihrer Partei im Thüringer Landtag ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nicht glücklich.

Frau Leutheusser-Schnarrenberger, haben Sie die Thüringen-Wahl am Mittwoch live im Fernsehen verfolgt?

Ja, ich habe sie ab Mittag mit verfolgt, habe die Stimmabgaben im Fernsehen erlebt, habe mitbekommen, wie am Ende das Ergebnis verkündet wurde, wie die Reaktionen darauf waren und wie gratuliert oder auch nicht gratuliert wurde.


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Haben Sie auch nur für eine Sekunde die Freude vieler ihrer bayerischen Parteifreunde über den Wahlausgang geteilt?

Nein, überhaupt nicht. Das habe ich gar nicht verstehen können. Für mich war ganz klar, dass das eine Katastrophe ist. Es war ein eindeutiges taktische Spiel der AfD, den eigenen Kandidaten nicht zu wählen und mit der Stimmabgabe für den FDP-Kandidaten alles zu tun, um großen Einfluss zu haben und eine Mehrheit gegen den dritten Kandidaten, Herrn Ramelow, herbeizuführen. Darüber konnte ich nicht jubilieren.

Kemmerich-Kandidatur war "strategische Entscheidung"

War es Blauäugigkeit der Thüringer FDP, dieses Spiel mitzuspielen oder Kalkül?

Da ich an den Vorberatungen und an den Gesprächen seit dem politischen Stillstand nach der Thüringen-Wahl nicht teilgenommen habe, weiß ich das nicht. Aber es war, denke ich, schon eine strategische Entscheidung, Herrn Kemmerich als Kandidaten der Mitte in den dritten Wahlgang ziehen zu lassen. Dass es bewusstes Kalkül war, will ich nicht unterstellen. Aber jeder, der die möglichen Szenarien vorab durchspielt, konnte nicht ausschließen, dass es kommt, wie es am Ende kam.

Was ist von Erklärungen zu halten, die darauf verwiesen, dass man schließlich nichts dafür kann, wenn einen andere wählen?

Natürlich kann man da nichts dafür. Aber wenn man selbst eine solche Konstellation erzeugt, indem man mit einem eigenen Kandidaten ein entsprechendes Angebot macht, kann man hinterher nicht so tun, als sei das die große Überraschung, dass die AfD eine der möglichen Konstellationen benutzt hat, um sich ins Spiel zu bringen.

"Sieg für Höcke und die AfD"

Was ist schlimmer: Dass Ihre Thüringer Kollegen das Risiko eingingen oder dass der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner das Ergebnis mit der Argumentation, man sei nicht verantwortlich dafür, wer einen wähle, nach mehreren Stunden Bedenkzeit am Mittwoch zunächst noch verteidigt hat?

Christian Lindner hat in seinem ersten Statement zumindest ja auch darauf verwiesen, dass die Situation extrem schwierig ist und man sich im Zweifel für Neuwahlen entscheiden muss. Das ist dann doch was anderes, als über ein solches Ergebnis zu jubilieren. Es war ja auch schnell klar, dass das Bemühen, eine bürgerliche Minderheitsregierung hinzubekommen, die nicht auf AfD-Stimmen angewiesen ist oder auf linke Stimmen, nichts bringt. Weil FDP, CDU, SPD und Grüne keine Mehrheit haben. Punkt. Das war ein Sieg für Höcke und den schlimmsten Flügel der AfD und deshalb ein schwarzer Tag.


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Ist die Gleichsetzung als politisches Übel von linkem und rechtem Rand ein Fehler?

Ich habe mich immer dagegen gewehrt, das so in einem Atemzug zu nennen. Natürlich haben auch die Linken viele Positionen, die wir nicht teilen. Aber hier geht es um einen entscheidenden Aspekt: Antisemitismus, Ausgrenzung, Rassismus, ideologisch völkische Gesinnung beherrschen bei der AfD eben das Programm. Das ist bei der Linken nicht der Fall. Und so wie Ramelow die letzten Jahre regiert hat, kann man ihm jedenfalls Antisemitismus und Rassismus nicht unterstellen. Dass man aus unterschiedlichen Gründen mit beiden nicht zusammenarbeiten will und kann, weil Schnittmengen fehlen, ist ja noch ein anderer Aspekt.

 

 

 

Bricht in der FDP ein alter Richtungsstreit wieder auf, bei dem sie in der Vergangenheit oft als streitbare Vertreterin des Bürgerrechts-Liberalismus in den Ring gestiegen sind?

Ich hoffe mal, dass es keinen Streit darüber gibt, wie klar die Kante zur AfD sein muss. Dass es in der FDP immer mal wieder Streit darüber gibt, welches Thema welches Gewicht hat, ist normal. Wir haben einen mühsamen Weg zurück zum ganzheitlichen Liberalismus hinter uns. Das Ringen um die eine oder andere Positionierung gehört in einer Partei dazu. Und welche Haltung ich da vertrete, ist ja bekannt.

"Schaden für die Demokratie"

Es existieren auf die 50er und 60er Jahre zurückgehende national-liberale Wurzeln in Ihrer Partei. Gibt es in Ostdeutschland eine Rückbesinnung auf diese Tradition?

Die starke nationale Strömung in der FDP, die es in den 50er Jahren noch gab, wurde mit dem Einstieg in die sozialliberale Koalition überwunden. Viele Leute – auch aus Führungspositionen – haben damals die Partei verlassen. Man kann heute keine Parallelen zu Erich Mende ziehen. Aber dass es in ostdeutschen Landesverbänden andere Schwerpunktsetzungen gibt, erleben wir in allen Parteien. Bei SPD und CDU wie bei der FDP. Aber die Grenzziehung zu Leuten, die Ausgrenzung und Rassismus nicht dezidiert ablehnen, gibt es in Ostdeutschland wie in Westdeutschland.

 

Wie groß ist der Flurschaden des Kemmerich-Abenteuers für die FDP?

Die Wahl Kemmerichs hat sowohl der FDP als auch der Demokratie insgesamt großen Schaden zugefügt. Christian Lindner hat mit seinem Eingreifen dafür gesorgt, dass dieser Schaden begrenzt wird. Angesichts der großen Turbulenzen in der Partei ist seine Entscheidung, die Vertrauensfrage zu stellen, aber nachvollziehbar.

Zur Person: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wurde 1951 in Minden geboren. Sie studierte Jura, arbeite am Europäischen Patentamt in München und wurde 1990 für die FDP in den Bundestag gewählt, dem sie bis 2013 angehörte. Von 1992 bis 1996 und von 2009 bis 2013 war sie Bundesjustizministerin. Die bayerische FDP führte sie als Vorsitzende von 2000 bis 2013. Leutheusser-Schnarrenberger gehört dem linksliberalen Flügel ihrer Partei an. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, und seit 2018 Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen. 

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