LGL-Chef rechnet mit Exit-Strategie ähnlich wie in Österreich

12.4.2020, 05:46 Uhr
Das Tragen von Mundschutz ist in österreichischen Supermärkten mittlerweile Pflicht. In Deutschland gilt die Maßnahme noch als umstritten.

© Roland Schlager/dpa Das Tragen von Mundschutz ist in österreichischen Supermärkten mittlerweile Pflicht. In Deutschland gilt die Maßnahme noch als umstritten.

Herr Zapf, die Kontakteinschränkungen im Freistaat sind weiterhin ein beherrschendes Thema in der Coronakrise. Ihr Kollege Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut sprach am Mittwoch erstmals von einem "positiven Trend". Sind die Maßnahmen in ihrer derzeitigen Form aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Zapf: Ich befürworte die Maßnahmen uneingeschränkt, sie sind absolut gerechtfertigt. Wir sehen derzeit erste Effekte: Der Zeitraum der Verdopplungsrate hat sich massiv verlängert, die Dynamik der Pandemie ist deutlich zurückgegangen.


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Der Virologe Hendrik Streeck aus Heinsberg hat gegenüber der Zeit geäußert, man vertraue derzeit viel zu sehr auf Modelle, deren Annahmen niemand getestet habe. Hat er recht?

Zapf: Darauf darf ich ihnen mit einem unter Epidemiologen gebräuchlichen Zitat antworten: "Jedes Modell ist falsch, aber es ist nützlich." Natürlich tut man sich schwer, Vorhersagen zu machen, weil man in der Tat unterschiedlichste Annahmen treffen muss. Aber wie soll man die Entwicklung denn auch sonst abschätzen? In einem unserer Szenarien in Bayern haben wir durchgespielt, wie hoch etwa die Infektionsrate am vergangenen Freitag in Bayern ohne Gegenmaßnahmen gewesen wäre, und kamen auf 40.000 Infizierte. Tatsächlich hatten wir zu dem Zeitpunkt aber nur etwa 20.000 Infizierte. Deswegen können wir schon abschätzen, dass wir die Zahl der Infizierten durch die ergriffenen Maßnahmen etwa um die Hälfte drücken konnten.

Bei den aktuell frühsommerlichen Temperaturen zieht es die Menschen trotz Ausgangsbeschränkung nach draußen an die frische Luft. Haben sie dafür Verständnis?

Zapf: Ja, natürlich. Deswegen hat man ja auch Dinge wie Spazierengehen behördlich nie untersagt. Auf der anderen Seite bitte ich die Bevölkerung dringend, die jetzigen Beschränkungen einzuhalten. Das ist vor allem für die ältere Generation wichtig. Man hat bei der derzeitigen Pandemie die Situation, dass viele jüngere Menschen glücklicherweise kein schweres Krankheitsbild entwickeln und sich deshalb schwer tun können, das richtige Problembewusstsein zu entwickeln. Aber bei den älteren Menschen schaut das ganz anders aus. Deswegen trägt jeder Verantwortung.

Die Niederlande und die Schweden haben vorübergehend das Modell der Herdenimmunität diskutiert, das Einschränkung vor allem für die Risikogruppen vorsieht. Was sagen Sie dazu?

Zapf: Diese Variante war uns bekannt, aber kam für uns nie in Frage. Ich glaube nicht daran, dass es möglich ist, die ältere Bevölkerung und jüngere Menschen mit Vorerkrankungen damit zu schützen. Die gefährdetste Gruppe sind ja alte,pflegebedürftige Menschen. Das aktuelle Coronavirus wird im Wesentlichen als eine Tröpfcheninfektion übertragen. Theoretisch ist auch eine Schmierinfektion nicht auszuschließen. Das Virus ist so leicht übertragbar, dass es überhaupt nicht zu gewährleisten wäre, besonders vulnerablen Gruppen bis zur Ausbildung einer Herdenimmunität vor einer Infektion zu schützen.

Sie erwähnen die Schmierinfektionen. Ist es sinnvoll mehr Handschuhe zu tragen?

Zapf: Der mit großem Abstand häufigste Übertragungsweg ist der durch Tröpfcheninfektion. Schmierinfektion ist zwar in einzelnen Fällen nicht auszuschließen, spielt aber meiner Einschätzung nach keine relevante Rolle.


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Aber eine Maskenpflicht könnte in Bayern kommen?

Zapf: Wir sollten jetzt erst mal die Maßnahmen wirken lassen, so wie sie erfolgt sind. Masken muss man von zwei Seiten diskutieren: Zum jetzigen Zeitpunkt ist meine Einschätzung, dass wir priorisieren müssen. Wir haben immer noch einen Mangel an Masken, so dass die verfügbaren jetzt in erster Linie Ärzten, Krankenhäusern und – wie sich jetzt herausgestellt hat – Pflegeheimen zur Verfügung gestellt werden. Masken haben möglicherweise auch das Problem, dass die Träger sich zu Unrecht vollumfänglich geschützt oder nicht ansteckend wähnen und dann die Hygienemaßnahmen vernachlässigen, was völlig falsch wäre. Blickt man hingegen in die Zukunft, muss man sich überlegen, ob eine Maskenpflicht – zum Beispiel bei Lockerung der derzeitigen Maßnahmen – in bestimmten Bereichen nicht Sinn macht.

Seit vergangener Woche werden 4000 Mitarbeiter des Freistaats in sogenannten CTT Teams an die Gesundheitsämter angeschlossen. Was ist deren Aufgabe und wie ist das Modell angelaufen?

Zapf: Das ist eine sehr gut und richtige Entscheidung der Staatsregierung, die ich sehr begrüße. Die Mitarbeiter sind benannt worden und werden gerade geschult. Ihre Aufgabe wird sein, Eindämmungsmaßnahmen vorzunehmen: Jeder Infizierte wird hinsichtlich seiner persönlichen Kontakte geprüft. Menschen, die engere Kontakte mit einem Infizierten hatten, kommen in Quarantäne. Bei weiteren Infektionsfällen wiederholt sich das Spiel. Auf diese Weise gelang es uns, die erste Eintragung bei der Firma Webasto zu stoppen und Kontaktpersonen zu schützen. Die Aufgabe dieser Mitarbeiter lautet also: Unterbrechung der Infektketten.


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Für wie wahrscheinlich halten sie eine Verlängerung der derzeitigen Maßnahmen über den derzeitigen Stichtag, den 19.4., hinaus?

Zapf: Das muss die Staatsregierung prüfen. Wichtig ist jetzt erst mal, dass wir uns alle bis zum 19.4. rigoros daran halten. Vor allem auch über die Osterfeiertage. Meiner Einschätzung nach wird es nicht sofort in allen Bereichen zu Lockerungen kommen können. Ich denke, es wird so ähnlich wie in Österreich ablaufen, wo ab dem 14.4. ein differenziertes Vorgehen geplant ist. Aber erst mal müssen wir uns die Zahlen in der nächsten Woche anschauen.

Was für langfristige gesellschaftliche Änderungen halten Sie im Zuge der Coronakrise für möglich? Welche deuten sich heute möglicherweise schon an?

Zapf: Diese Pandemie wird für unsere Gesellschaft sicher Nachwirkungen haben, weil sie die Verletzlichkeit derselben aufzeigt. Wir lernen gerade viel über die Vernetzung der modernen Welt: Wenn irgendwo in Asien eine Krankheit ausbricht, ist die in Windeseile auch bei uns. Auf der anderen Seite haben unser Land und unsere Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten schon ganz andere Krisen gemeistert. Menschen können so etwas überstehen!


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