Manche Jobcenter strafen Arbeitslose besonders hart

23.5.2017, 19:20 Uhr
Manche Jobcenter strafen Arbeitslose besonders hart

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Kein Bus- oder Bahnticket, keine neue Kleidung: Hartz-IV-Empfänger, die von ihren Jobcentern sanktioniert werden, müssen auf fast alles verzichten. Die mehr als 400 Jobcenter in Deutschland kürzen ihnen das Geld, wenn sie nicht zu Terminen erscheinen, Jobs ablehnen oder eine Beschäftigungsmaßnahme abbrechen. Wenn es hart kommt, zahlt der Staat überhaupt nichts mehr. Jeden Monat trifft die komplette Streichung rund 7000 Menschen.

Das Recherchezentrum Correctiv und BuzzFeed News haben Daten aller 407 Jobcenter ausgewertet. Die Analyse zeigt: Wie häufig und wie stark die Jobcenter kürzen, unterscheidet sich drastisch. So werden in manchen Städten nicht nur besonders viele Arbeitslose sanktioniert. Manche Jobcenter streichen den Empfängern auch deutlich mehr Geld als andere. Das Ergebnis verwundert, denn um genau solche Unterschiede zu verhindern, gibt es für die Sanktionen eigentlich klare Regeln.

 

Welche Jobcenter sind besonders streng?

Meister im Kürzen von Leistungen ist das Jobcenter der Stadt Rosenheim, das anteilig den meisten Hartz-IV-Empfängern ihr Geld kürzt. Das ergibt eine Auswertung der durchschnittlichen Sanktionsquote für das Jahr 2016 für alle Jobcenter. In Rosenheim bekommen im Schnitt fast sieben Prozent aller Hartz-IV-Empfänger weniger als das Existenzminimum. Das ist zum Beispiel zehnmal so viel wie im Hochtaunuskreis.

 

Wie viel wird gekürzt?

Auch bei der Höhe der Sanktionen unterscheiden sich die Jobcenter dramatisch. Das Jobcenter Südwestpfalz kürzte 2016 im Schnitt mehr als ein Drittel des Regelbedarfs. Der Bundesdurchschnitt liegt bei gut 20 Prozent. Im Jobcenter Main-Taunus-Kreis sind es lediglich 11,5 Prozent.

 

Was sagt die Opposition angesichts dieser Unterschiede?

Bundestagsabgeordnete von Grünen und Linken sehen in der Auswertung ein Anzeichen für Behördenwillkür. "Die Sanktionspraxis, so wie wir sie in Deutschland beobachten, ist teilweise willkürlich und vor allem häufig kontraproduktiv", sagt Wolfgang Strengmann-Kuhn, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Die Grünen fordern die Abschaffung der Sanktionen. Das Kürzen von Leistungen führe dazu, "dass die Leute sich zurückziehen und nicht mehr für die Vermittlungstätigkeit zur Verfügung stehen". Auch die Linke fordert schon lange eine Abschaffung der Sanktionen.

 

In welchen Fällen wird Hartz IV eigentlich gekürzt?

Die Sachbearbeiter in den Jobcentern dürfen laut Gesetz nur sehr begrenzt selbst darüber entscheiden, ob ein Hartz-IV-Empfänger von weniger als dem Existenzminimum leben muss. Die meisten Sanktionen verhängen Jobcenter für verpasste Termine. Erscheint ein Hartz-IV-Empfänger ohne wichtigen Grund nicht beim Jobcenter, werden für drei Monate zehn Prozent abgezogen. Wer eine nach Ansicht des Jobcenters zumutbare Arbeitsstelle ablehnt oder eine Arbeitsmaßnahme abbricht, bekommt 30 Prozent weniger. Arbeitslosen unter 25 Jahren wird nach der zweiten Sanktion alles gestrichen: das Geld für die Unterkunft, die Heizung und der Regelbedarf, der zum Beispiel für Lebensmittel-Käufe gedacht ist.

Warum kürzen manche Jobcenter so viel häufiger?

Die großen Unterschiede hat bisher kaum jemand wissenschaftlich untersucht. Joachim Wolff vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) glaubt, dass die Jobcenter einen Teil der Unterschiede nicht beeinflussen können. So gebe es in manchen Landkreisen zum Beispiel mehr freie Stellen. Und wo es mehr Jobs gibt, da laden die Jobcenter ihre Hartz-IV-Empfänger häufiger zu Terminen, bieten ihnen mehr Jobs an und wollen sie häufiger in Maßnahmen vermitteln. Im Jobcenter-Jargon nennt man das eine "hohe Betreuungsdichte". Mehrere Jobcenter-Leiter nennen diese hohe Betreuungsdichte im Gespräch als einen wichtigen Grund für mehr Sanktionen. Logisch: Wer mehr Termine hat, kann auch mehr Termine verpassen. Mit der hohen Betreuungsdichte verteidigt sich auch der Geschäftsführer des Jobcenters Rosenheim, Armin Feuersinger. Es gebe nun mal viele Beschäftigungsangebote, erklärt Feuersinger. "Sanktionen gehören nicht zur Strategie und es gibt auch keinerlei Anweisungen an die Mitarbeiter."

 

Und was sagt die verantwortliche Ministerin Andrea Nahles?

Das Bundesarbeitsministerium sieht für die drastischen Unterschiede "vielfältige Ursachen", wie ein Sprecher mitteilt. Ebenso wie die Bundesagentur für Arbeit führt das Ministerium die Unterschiede auf die jeweilige Arbeitsmarktlage zurück. Anzeichen für eine Ungleichbehandlung von Hartz-IV-Empfänger sehen beide nicht. Handlungsbedarf dementsprechend auch nicht.

 

Kann die Arbeitsmarktsituation vor Ort tatsächlich die Unterschiede erklären?

Nein. Das IAB teilt die Jobcenter-Bezirke in 15 verschiedene Typen ein. Dabei wird nicht nur die Zahl der offenen Stellen, sondern zum Beispiel auch die Bevölkerungsstruktur und die Wohnkosten einbezogen. Der Jobcenter-Bezirk der Stadt Rosenheim hat demnach verhältnismäßig wenige Hartz-IV-Empfänger, einen hohen Migrantenanteil und eine günstige Arbeitsmarktlage. Genau das gilt aber auch für den Jobcenter-Bezirk der Stadt München. Dennoch kürzt Rosenheim etwa dreimal so viele Hartz-IV-Empfänger unter das Existenzminimum wie München.

 

Also liegt es doch an den Jobcenter-Mitarbeitern?

"Persönliche Einstellungen und Arbeitsbelastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern können ebenfalls die Sanktionswahrscheinlichkeit beeinflussen", schrieb schon 2013 das rheinland-pfälzische Arbeitsministerium in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen. Auch Michael Löher vom Deutschen Verein für private und soziale Fürsorge sagt, dass die Entscheidung an den Sachbearbeitern hänge. "Das ist eine Frage der persönlichen Reife des Mitarbeiters, das ist eine Frage des Mutes, das ist eine Frage des Klimas, das in den Jobcentern herrscht."

 

Der Autor ist Mitarbeiter des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion, mit der unsere Zeitung kooperiert, finanziert sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Infos unter correctiv.org

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