Nach Christkind-Debatte: Wo endet die Meinungsfreiheit?

4.11.2019, 06:00 Uhr
Das Nürnberger Christkind Benigna Munsi neben Oberbürgermeister Ulrich Maly.

© Eduard Weigert Das Nürnberger Christkind Benigna Munsi neben Oberbürgermeister Ulrich Maly.

Denn es sollte keine 24 Stunden dauern, ehe die einstimmig gewählte Benigna Munsi Opfer rechtsextremer Hassparolen wurde. Die Empörung über den inzwischen gelöschten AfD-Post war groß, die Kritikerfront reichte vor OB Ulrich Maly ("bescheuert") bis zu Ministerpräsident Markus Söder ("schäbig").

Überhaupt lief die Empörungsspirale wie gewohnt ab. Die AfD ließ den Post löschen, der Verursacher trat von seinem ohnehin unbedeutenden Posten zurück, die AfD-Spitze distanzierte sich vom Inhalt.

Beendet ist die Debatte damit noch lange nicht: Denn nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks, sondern auch die der Meinungsfreiheit sind mit Blick auf das neue Nürnberger Christkind ohne jeden Zweifel überschritten worden.

Warum? Weil es eben keine absolute Meinungsfreiheit geben darf. Menschen mit rechtsextremen Weltbild dürfen sich nicht ungestraft über ein Christkind beklagen, nur weil dessen Vater aus Indien stammt. Nein, hier tritt ein Grundrecht, das auf Meinungsfreiheit, in direkte Konkurrenz zu einem anderen - konkret zur der Würde des Menschen.

Diese ist unantastbar, heißt im Artikel eins des Grundgesetzes. Weil der AfD-Post die Würde der 17-jährigen Benigna Munsi angreift, ist er nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt.

Anders sieht das im Fall Lucke aus: Der AfD-Gründer muss trotz teilweise unberechtigter Kritik (Lucke selbst stand nie im Verdacht rechtsradikalem Gedankengut anzuhängen) an seiner Person den Protest gegen seine Antrittsvorlesung aushalten.

Allerdings hätte die Universitätsleitung und die zuständige Senatorin auf die Wissenschaftsfreiheit (übrigens auch ein Grundrecht) pochen und Lucke besser schützen müssen.

Anders wäre der Fall gelagert, falls Thüringens AfD-Chef Björn Höcke sich mit dem Gedanken tragen sollte, wieder in den Schuldienst zurückzukehren. Als Geschichtslehrer wäre er nämlich untragbar, spätestens seit seine Ansichten gerichtsfest als faschistisch bezeichnet werden dürfen.

Aus der aktuellen Debatte sollten drei Lehren gezogen werden:

1) Über Meinungsfreiheit zu debattieren lohnt in jedem Einzelfall.

2) Nicht immer sticht die Meinungsfreiheit andere Grundrechte aus, ein absolutes Recht auf die eigene Meinung gibt es nicht. Auch wenn das etliche Internetfreaks gerne anders hätten.

3) Sobald die Würde eines anderen Menschen angetastet wird, ist die Grenze des Sagbaren erreicht. Immer und ohne jede Rücksichtnahme, ob links- oder rechtsradikale Motive eine Rolle spielen.

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