Neuer Schwung in der Debatte um Bayerns Windräder

7.5.2021, 09:31 Uhr
Ein Windrad wird errichtet: In Bayern sind solche Bilder selten, im gesamten Freistaat gingen 2020 nur acht neue Anlagen ans Netz. 

© imago images/Hermann J. Knippertz Ein Windrad wird errichtet: In Bayern sind solche Bilder selten, im gesamten Freistaat gingen 2020 nur acht neue Anlagen ans Netz. 

Machen Windräder krank? Das behaupten Windkraftgegner zumindest und bremsen damit den Ausbau: Wo Anlagen geplant werden, gründen sich schnell Bürgerinitiativen und äußern immer wieder auch Sorgen um die Gesundheit der Anwohner. Bei starkem Gegenwind knickt der Gemeinderat dann oft ein, zum Beispiel in Speichersdorf bei Bayreuth oder erst vor wenigen Tagen in Eggolsheim bei Forchheim. Ein beliebtes Argument bei den Protesten ist der Infraschallwert von Windrädern, der angeblich das Herz schädigen kann. Doch wie der Erlanger Physikprofessor Martin Hundhausen nun nachgewiesen hat, ist der für Windräder offiziell ermittelte Infraschallwert der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) viel zu hoch. Die Behörde hat sich bei der Umrechnung ihrer Messwerte vertan – um den Faktor 4000.

Der falsche Wert wurde von der BGR offenbar bereits 2004 errechnet, 2009 in einer Studie veröffentlicht und seitdem unzählige Male von Windkraftgegnern zitiert. „Schon seit Jahren präsentieren andere Behörden und Institute immer wieder Messungen mit deutlich niedrigeren Werten“, sagt Hundhausen im Gespräch mit der Redaktion. „Da hätte die BGR selbst draufkommen können, dass mit ihren Zahlen etwas nicht stimmt.“ Außerdem wurde immer wieder kritisch nachgefragt – unter anderem von dem Erlanger Physiker und dem Bayreuther Umweltwissenschaftler Stefan Holzheu. Dieser war auf die falsche Zahl gestoßen, als nahe seines Wohnortes ein Windpark in Speichersdorf geplant wurde und eine Bürgerinitiative vor einer Infraschallbelastung warnte: Dem Sensortechniker war schnell klar, dass an der Sache etwas faul ist.

Nach zwei Stunden war der Fehler entdeckt

Über ein Jahr lang hat er sich um einen wissenschaftlichen Austausch mit der Behörde bemüht, doch seine zahlreichen Anfragen um Einblick in die internen Zahlen wurden ignoriert. Schließlich zog er seinen Erlanger Kollegen zu Rate, um zumindest die veröffentlichten Daten zu prüfen. „Ich habe zwei Stunden nachgerechnet und wusste dann, wo der Fehler lag“, erzählt Hundhausen.

Ein folgenschwerer Fehler, der seit vielen Jahren mit dazu beigetragen hat, den Ausbau der Windkraft zu bremsen. Doch nicht nur im BGR gab man sich weiterhin zugeknöpft, auch im übergeordneten Bundeswirtschaftsministerium. „Die haben uns immer sehr stereotyp über Twitter geschrieben: Sie arbeiten daran, sie haben das ernstgenommen“, berichtet Hundhausen. „Wir haben aber eine Entschuldigung gefordert.“ Die kam dann letzte Woche doch noch, und zwar öffentlich – von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) persönlich.

Für den geplanten Windpark in Speichersdorf kommt das zu spät – und auch in Eggolsheim hat der Gemeinderat nun dagegen gestimmt, obwohl der Rechenfehler beim Infraschallwert noch kurz vor der entscheidenden Sitzung bekannt wurde. Der Widerstand ist offenbar zu vehement. Das vom Wirtschaftsminister veröffentlichte Eingeständnis eines eklatanten Rechenfehlers lässt die örtliche Bürgerinitiative nicht an ihrem Kurs zweifeln: Die BI „Vernunftkraft“ erklärt die korrigierte Zahl für irrelevant und glaubt weiterhin fest an Gesundheitsgefahren durch Infraschall.

„Wenn der Windradflügel am Turm vorbeigeht, wird ein Drucksignal gestartet“, erklärt Hundhausen. „Schall ist Druckschwankung. Infraschall hat aber so tiefe Frequenzen, dass sie für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind. In 200 Metern Entfernung hat die BGR 90 Dezibel errechnet, noch näher kommen dann irgendwann auch 100 Dezibel – tatsächlich ist dieser Wert aber um 36 Dezibel zu hoch.“ Und weil Dezibel eine logarithmische Größe ist, bedeutet dies Hundhausen zufolge, dass die angebliche Belastung um das 4000-fache zu hoch angegeben wurde.

Umstrittene Studie zu Herzschäden

Ein Kardiologe aus Mainz hat auf dieser falschen Datenbasis eine methodisch umstrittene Studie durchgeführt und kam zu dem Ergebnis, dass Herzmuskeln Schaden erleiden würden. „Das war aber bei einem herausgenommenen Muskel, der sich nicht mehr im Herzen befand“, betont Hundhausen. „Im Körper gibt es kein anderes Organ, das ständig so starken Druckschwankungen ausgesetzt ist wie das Herz. Weil das Herz ja pumpt. Es gibt ständig Druckschwankungen durch Infraschall, zum Beispiel wenn man eine Tür zuschlägt oder der Wind ums Haus bläst. Das ist alles völlig harmlos. Die Behauptung, dass die Bewegung von Windflügeln gefährlich wären, ist absurd. Selbst der falsche, 4000-fach zu hoch angegebene Wert wäre nicht bedenklich.“

Auch das Bundeswirtschaftsministerium schreibt hierzu explizit, dass „Infraschall ein alltäglicher und überall präsenter Bestandteil unserer Lebenswelt ist“ und betont: „Wissenschaftliche Studien haben bislang keinen Nachweis erbracht, dass der von Windenergieanlagen ausgehende Infraschall schädliche Wirkungen auf die Gesundheit hat.“ Der 2004 von der BGR falsch berechnete Infraschallwert wurde übrigens nicht im Hinblick auf Gesundheitsfragen ermittelt, denn das ist gar nicht die Aufgabe der Geowissenschaftler: Sie wollten wissen, ob Windräder die Aufzeichnungen von zwei Infraschall-Messstationen beeinträchtigen könnten, die mit hochsensiblen Geräten illegale Atomtests im Ausland erfassen sollen.

Behauptungen ohne Beweise

Auch wenn jetzt klare Fakten auf dem Tisch liegen, rechnet Bürgermeister Claus Schwarzmann (Bürgerbund) nicht mehr mit einem Umdenken der Windkraftgegner in Eggolsheim. „Es wurde ja neben dem Infraschall auch alles Mögliche weitere behauptet, was hinten und vorne nicht beweisbar ist. Schwingungen, Gesundheitsgefahren, psychische Probleme - lauter Dinge, für die es keine richtigen Belege gibt“, erzählt er im Redaktionsgespräch. „Man hat auch behauptet, dass die Grundstücke automatisch 25 Prozent weniger wert sind. Dabei stehen in der Nachbarschaft ja auch Windräder, da ist das Gegenteil der Fall. In Buttenheim bauen die Leute weiter fleißig in der Nähe der Anlagen. Und die größten Gegner von einst sagen heute, dass es keine Probleme gibt.“

Gerade in Bayern geht es bei der Windkraft seit Jahren kaum voran, 2020 wurden hier gerade mal acht neue Anlagen gebaut – während bundesweit immerhin 27 Prozent des Stroms aus Windkraftanlagen kam. Insgesamt lag der Anteil der Erneuerbaren Energien am deutschen Strommix erstmals über 50 Prozent. Um die Klimaziele zu erreichen, wäre nach Berechnungen des Freiburger Fraunhofer-Instituts ISE aber allein ein jährlicher Zuwachs der Windkraft an Land von rund acht Gigawatt nötig – gerade einmal 1,4 Gigawatt waren es 2020.

Neuer Streit um Bayerns Abstandsregel

Das Aus für die Windräder in Eggolsheim ist für den Bürgermeister doppelt bitter, denn gerade in diesen Tagen gab es zwei starke Signale, die seinen Kurs unterstützen: Kurz nach der Korrektur der Infraschallwerte kam auch noch vom Bundesverfassungsgericht massiver Rückenwind für den Ausbau der Erneuerbaren Energien. „Nach dem Karlsruher Urteil zum Klimaschutzgesetz will jetzt auch Bayern sein Gesetz überarbeiten. Wer weiß, was da rauskommt“, fragt sich Schwarzmann, „vielleicht fällt auch die 10-H-Regel?“ Diese Formel gibt es nur im Freistaat und gilt als große Hürde - sie schreibt seit 2014 vor, dass Windräder mindestens das Zehnfache ihrer Höhe als Abstand zur Wohnbebauung haben müssen. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte zwar kurz nach dem Klimaschutzurteil, dass er an der Regelung festhalten wolle. Doch Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (FW) will sie kippen. Für Schwarzmann ist das Urteil jedenfalls ein Weckruf: „Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass wir beim Klimaschutz dringend handeln müssen. Wir haben viele Jahre verschlafen, gerade in Bayern.“

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