"Nicht auf konservative Ecke starren": Theo Waigel warnt CSU

21.4.2019, 14:13 Uhr

© dpa

Wie geht es Ihnen nach einem langen politischen Leben?

Theo Waigel: Ich bin zufrieden. Ich kann noch Sport machen, ich kann noch denken, ich kann noch schreiben. Und es gibt immer noch Leute, die mich nach meiner Meinung fragen.

Das tun wir. Der Titel Ihrer Memoiren lautet "Ehrlichkeit ist eine Währung". Ist die der Politik verloren gegangen?

Waigel: Nein. Ich warne davor, in Nostalgie zu versinken. Es gibt ein Gedicht von Hermann Hesse: "Einst war, so scheint es uns, das Leben wahrer, die Welt geordneter, die Geister klarer." Ich überblicke eine relativ lange Zeit. Ich möchte nicht zurück in die 50er, die 60er oder die 70er.

Warum nicht?

Waigel: Weil das die Jahre der Verdrängung waren. Ich habe in den 60er Jahren noch eine Theologie der Angst erlebt, der Angst vor dem Teufel, der Angst vor der Sünde. Insofern bin ich bei allen aktuellen Problemen glücklich, heute zu leben.

Papst Benedikt hat den 68ern die Schuld gegeben am Kindesmissbrauch in der Kirche. Wie sehen Sie das?

Waigel: Das halte ich für völlig daneben. Über die 68er lässt sich viel diskutieren. Aber zu behaupten, die Probleme der Kirche hingen damit zusammen, ist absurd. Dagegen sollte die Kirche in ihrer Glaubensfestigkeit doch wohl resistent gewesen sein.

Warum haben seine Berater das nicht verhindert?

Waigel: Meine Familie jedenfalls hätte mich gestoppt. Mein Sohn Konstantin hat mir eben erst eine Mail geschickt und geschrieben, er mache mir zum 80. eine Liste mit Anekdoten, die ich nicht mehr erzählen darf. Er hat sie schon zu oft gehört. Mir ist das mit Kohl ja nicht anders ergangen. Der hat mir die gleichen Dinge auch immer wieder erzählt. Und jetzt muss ich aufpassen, dass ich nicht so werde wie er.

Sie werden im Moment durch die Talkshows gereicht wie kein anderer. Wie viele Interviews haben Sie schon gegeben?

Waigel: Mindestens ein Dutzend. Dazu die ganzen Talkshows. Da kommt etwas zusammen.

Vorher war es ruhig um Sie.

Waigel: Das war Absicht. Ich melde mich nur, wenn ich meine, dass ich etwas zu sagen habe. Mich hat das schon als junger Politiker genervt, wenn einen die Alten ständig belehrt haben. So wollte ich nie werden. Also habe ich mich zurückgehalten.

Andere haben das nicht. Edmund Stoiber hat sich über Jahre Büro, Dienstwagen und Personenschutz vom Staat bezahlen lassen. Ich nehme an, Sie spielen darauf an.

Waigel: Nein, ich kenne seine Situation gar nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde das in Ordnung, das steht den Politikern zu. Ich habe 1998 für mich einen Schnitt gemacht, als ich als CSU-Vorsitzender die Bundestagswahl mit knapp 48 Prozent verantworten sollte – ein Ergebnis, für das man mich heute seligsprechen würde. Ich habe mich zurückgezogen, weil ich niemandem den Platz wegnehmen wollte.

Sie wurden wieder Anwalt.

Waigel: Und das war spannend. Ich war zum Beispiel im Compliance-Monitor bei Siemens und Airbus. Das zeigt, dass mir die Menschen vertrauen. Darum habe ich mich immer bemüht in der Politik, durch Ehrlichkeit Vertrauen aufbauen. Gelernt habe ich es von Helmut Kohl. Dem ist das gelungen. Das habe ich auch gegenüber Franz Josef Strauß versucht.

Wie kam das an?

Waigel: Nicht immer gut. Aber im Lauf der Zeit hat er das akzeptiert. Und am Ende hat er mir Briefe geschrieben von einer Liebenswertigkeit und von einer Freundschaft, dass es mich heute noch rührt.

Es heißt, die Politik kenne keine Freunde. In Ihrer Autobiografie klingt das anders.

Waigel: In der Tat. Ich habe auf meinem Weg durch die Politik viele Freunde gewonnen, Alois Glück etwa, Michael Glos oder Erwin Huber. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber ich hatte nie das Gefühl, dass sie mich hereinlegen. Dazu gehört neben Helmut Kohl übrigens auch Helmut Schmidt. Wenn ich in Hamburg war, habe ich ihn besucht. Und er hat mir bis kurz vor seinem Tod rührende Briefe geschrieben.

Eine bekannte Klage ist, dass Politiker austauschbar seien.

Waigel: Ach, das hat man uns auch schon vorgeworfen. Damals hat man uns Adenauer vorgehalten. Heute heißt es, wo sind Typen wie Strauß? Es gab und gibt sie. Manfred Weber gehört für mich dazu. Und, das muss ich ehrlich sagen, auch Markus Söder.

Wie schätzen Sie ihn ein?

Waigel: Er findet seinen Weg. Wir hatten früher ein eher distanziertes Verhältnis. Und ich dränge mich nicht auf. Aber er fragt um Rat und nimmt ihn an. Er sieht, dass wir nicht mit den Positionen der 70er Jahre heute in die Umweltpolitik gehen können. Und danach richtet er die CSU aus.

Glauben Sie ihm, dass das wirklich sein Anliegen ist?

Waigel: Ja, ich nehme es ihm ab. Er räumt Fehler ein. Das imponiert mir. Ich habe 1987 die Predigt eines evangelischen Bischofs gehört, der Politiker dazu aufgefordert hat, sie sollten Mut zur Unvollkommenheit zeigen. Ich habe mich daran gehalten. Ich habe mich entschuldigt, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Danach ist es mir immer besser gegangen. Diesen Mut muss man haben.

Warum fehlt er so vielen Politikern?

Waigel: Weil in der Politik jeder Fehler hart geahndet wird. Wenn die sich verrannt haben, machen sie weiter, weil sie hoffen, dass sie damit durchkommen. Das tun sie aber nicht.

In Ihrer Partei tobt ein Richtungsstreit, wie konservativ die CSU sein muss.

Waigel: Ich kann meine Partei nur warnen: Wer nur auf die konservative Ecke starrt, verliert. Wir müssen es mit Strauß halten, der immer gesagt hat: Die CSU ist auch konservativ. Aber auch liberal und sozial. Deswegen halte ich es für höchst problematisch, wenn wir in der CSU eine konservative Revolution ausrufen.

Das war Dobrindt. Und sie ist ausgeblieben. Wie sehr haben die vergangenen Jahre Sie politisch geschmerzt?

Waigel: Sehr. Der Grundgedanke war ja richtig, dass wir Zuwanderung steuern und kontrollieren müssen. Aber die Taktik und die Wortwahl, die folgten, haben der CSU geschadet, den Grünen genutzt und die AfD stabilisiert. Das ist schon bei der Europawahl schiefgegangen, als wir Befürworter und Skeptiker sein wollten. Bei der Bundestagswahl ist die Doppelstrategie ebenfalls gescheitert.

Und Söder hat das begriffen?

Waigel: Das hat er. Und ich finde es stark von ihm, dass er mit Manfred Weber zusammenarbeitet. Wenn wir jetzt wieder über 40 Prozent liegen in den Umfragen, zeigt es, dass sein Umgang mit Europa ein anderer ist.

Was war für Sie der schönste Moment?

Waigel: Politisch, als die Verhandlungen mit den Russen über ihren Abzug abgeschlossen und der Vertrag unterzeichnet war. Privat vor allem das Vertrauen, das meine Kinder und die Irene immer in mich hatten.

Wie haben Sie deren Kindheit miterlebt, Sie waren ja in Bonn und damit weit weg.

Waigel: Trotz der Politik intensiv. Es gab einen Punkt, da habe ich meinen beiden Großen angeboten, dass ich aus der Politik aussteige, falls sie das wollen. Das haben sie abgelehnt. Wenn ich Angst hätte haben müssen um ihr Seelenleben, hätte ich sofort aufgehört.

Blicken Sie stolz auf ein Leben zurück, in dem Sie nichts bereuen?

Waigel: Stolz ist das falsche Wort. Und nichts bereuen wäre auch falsch. Natürlich habe ich Dinge falsch gemacht. Ich hätte mich fünf Jahre früher zu Irene bekennen sollen. Das wäre viel besser gewesen.

Sie lebten 1993 von Ihrer Frau getrennt und waren mit Irene Epple befreundet. Das kochte im Machtkampf mit Stoiber hoch.

Waigel: Ich wollte Rücksicht auf meine Familie nehmen, wollte ihr diese Debatte ersparen, die dann natürlich doch stattgefunden hat. Das hätte ich verhindern können. Aber heute bin ich versöhnt mit meinem Leben. 

5 Kommentare