Nürnberger mit Wurzeln im Iran: "Es geht um alles"

20.1.2020, 14:34 Uhr
Aus Protest gegen die Tötung des iranischen Generals Soleimani laufen diese Männer im Iran über Flaggen der USA und Israels.

© Foto: Mahmud Hams/afp Aus Protest gegen die Tötung des iranischen Generals Soleimani laufen diese Männer im Iran über Flaggen der USA und Israels.

Viele Iraner im Ausland sind aufgewühlt von den jüngsten Vorgängen im ihrer Heimat und im Irak: von dem tödlichen Drohnenangriff der USA auf den iranischen General Ghassem Soleimani in Bagdad, dann der versehentliche Abschuss eines ukrainischen Passagierjets mit 176 Insassen durch die iranische Flugabwehr. Auch in Nürnberg gab es Mahnwachen von Iranern. Zwei der Beteiligten sind Parvin Nazemi (59) und Farshid Ahey (62), die seit langem in Nürnberg leben, in den 80er Jahren kamen sie nach Deutschland, nachdem sie im Iran im Gefängnis waren. Wir haben mit ihnen über die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland gesprochen.

Parvin Nazemi (59) und Farshid Ahey (62, re.) waren schon in jungen Jahren im Iran politisch aktiv, beide hatten sich in der Endphase der Schahzeit linken Gruppierungen angeschlossen. Nach der islamischen Revolution im Jahr 1979 mussten beide, die auch inhaftiert wurden, ihr Land verlassen – er im März 1984, sie knapp eineinhalb Jahre später. Er ist als Maschinenbautechniker für ein renommiertes deutsches Unternehmen, sie arbeitet im Einzelhandel.

Parvin Nazemi (59) und Farshid Ahey (62, re.) waren schon in jungen Jahren im Iran politisch aktiv, beide hatten sich in der Endphase der Schahzeit linken Gruppierungen angeschlossen. Nach der islamischen Revolution im Jahr 1979 mussten beide, die auch inhaftiert wurden, ihr Land verlassen – er im März 1984, sie knapp eineinhalb Jahre später. Er ist als Maschinenbautechniker für ein renommiertes deutsches Unternehmen, sie arbeitet im Einzelhandel. © Foto: Georg Escher

Der Iran ist schon lange nicht mehr zur Ruhe gekommen. Wie viel Zeit verbringen Sie täglich damit, Informationen zu beschaffen und sich auszutauschen?

Sehr viel Zeit, jeden Tag. Bereits früh am Morgen, in den Pausen in der Arbeit, abends, wenn ich nach Hause komme. Das sind ein bis zwei Stunden pro Tag. Ich lese iranische Zeitungen, die Regierungsseite, die Seiten der Reformisten im Iran genauso wie die von Oppositionellen im Ausland.

Es sind unheimlich viele Videos im Umlauf, die Proteste zeigen. Es werden brutalste Einsätze von Sicherheitskräften gezeigt. Aber wie kann man echte von falschen Berichten auseinanderhalten?

Wer sich seit Jahren mit dem Thema Iran befasst, weiß, welche Quellen verlässlich sind. Da kann man auseinanderhalten, ob die Aufnahmen alt sind oder aktuell. Ein Beispiel: Vor zehn Jahren, bei der "grünen Revolution", trugen praktisch alle grüne Bändchen, Schals oder Mützen. Heute sind es ganz andere Merkmale. Und die Forderungen sind ganz andere. Damals hieß es: "Wir wollen unsere Wahlzettel zurück!". Heute rufen viele: "Nieder mit dem Regime!" Es geht nicht mehr um Reformen, es geht um alles.

Sprechen wir über den tödlichen Drohnenangriff auf General Soleimani in Bagdad...

Soleimani war für Ajatollah Chamenei eine ganz wichtige Person. Er war die rechte Hand und Kommandeur der Quds-Brigaden. Soleimani war immer im Fokus der Amerikaner, besonders seit Donald Trump Präsident ist. Er war wirklich eine gefährliche Person und hat über Milliarden verfügt. Damit hat er in der ganzen Welt arme Menschen als Söldner aufgekauft. In Afghanistan zum Beispiel hat er die schiitische Fatemiyoun-Brigade gegründet, in der sogar Kinder gekämpft haben. Er hat sie auch nach Syrien geschickt und ihnen versprochen, wenn der Einsatz vorbei wäre, würden sie die iranische Staatsbürgerschaft erhalten. Mit seinen Milliarden hat er auch Milizen in Syrien, im Irak und in Jemen finanziert, im Libanon die Hisbollah. Er hatte im Ausland mehr als 100.000 Söldner unter Waffen.

Und, haben die Söldner die Staatsbürgerschaft erhalten?

Niemand hat sie bekommen. Das ist eine Zeitbombe. In Syrien sitzen Abertausende Söldner in einem Niemandsland. Wenn sie, sagen wir, 50.000 von diesen Extremisten nach Iran holen würden, niemand will die da. Sie aber wollen nicht mehr zurück nach Afghanistan oder in den Jemen. Das alles war Soleimani. Er war ein Übeltäter. Auch im Iran hat er zahlreiche Menschen umbringen lassen, viele Studenten.

Kürzlich gab es riesige Proteste. Auslöser war die Benzinpreiserhöhung. Es schien, als könnte das für die Regierung sehr gefährlich werden. Was wurde daraus?

Das ist sehr interessant. Die Menschen sind gegen die Erhöhung der Benzinpreise auf die Straße gegangen, weil sie das hart getroffen hat. Viele im Iran haben zwei oder drei Jobs, damit sie überleben können. Studenten, die keine Arbeit finden, fahren Taxi, um ihre Miete zahlen zu können. Auch viele andere Dinge sind teurer geworden: Transport, Lebensmittel, alles, nicht nur Benzin. Und die Menschen werden immer ärmer.

Viele Iraner waren auch zornig, weil die Regierung trotz der Not im eigenen Land Milliardensummen in Kriege im Ausland gesteckt hat...

Das ist richtig. Es kommt aber noch etwas dazu. Trotz der Armut im Land wirbt die Regierung in den ärmsten Ländern der Welt – in Afrika, in Lateinamerika, in Kuba – junge Leute als Studenten für Islamwissenschaften an. Sie holen sie in den Iran, sie kriegen Geld und werden versorgt. Die Hoffnung ist: Wenn diese Studenten wieder in ihre Heimat zurückgehen, gründen sie dort vielleicht eine Moschee, werben für den schiitischen Islam und werben Mitglieder an. Auch in Libyen oder in Afghanistan passiert das. Überall, sogar in Palästina. Sie bauen dort Krankenhäuser, Schulen, Straßen, alles. Aber wie sieht das zuhause aus im Iran? Die Leute fühlen sich unter Wasser. Sie erhalten gar keine Hilfe von der Regierung.

Die Protestbewegung nach der Benzinpreiserhöhung ist brutal zusammengeknüppelt worden. Welche Informationen haben Sie da bekommen?

Zunächst waren die Proteste ganz friedlich. Anfangs waren die Revolutionsgarden nur präsent, haben aber nicht eingegriffen. Später wurden dann Knüppel eingesetzt, es wurde geschossen. Scharfschützen haben direkt auf Demonstranten gezielt, auf den Kopf oder das Herz. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters sind 1500 Menschen getötet worden. Rund 8000 wurden verhaftet. Im Gefängnis sind viele Menschen unter Folter gestorben. Die Leichen wurden in Flüsse oder Seen geworfen. Unter den Toten sind auch 14-, 15- oder 18-Jährige. Es gab einen Fall, da wurde ein Jugendlicher vor den Augen der Mutter umgebracht.

Es gab zahlreiche Videos von den Autoblockaden auf Autobahnen. Da war zu sehen, wie Revolutionsgarden Außenspiegel wegtreten, auf Motorhauben eindreschen oder auf Demonstranten eingeschlagen. Was macht das mit Ihnen?

Das ist herzzerreißend, weil wir von hier aus nichts dagegen unternehmen können. Wir können nur versuchen, diese Informationen im Ausland bekannter zu machen, an die demokratischen Parteien und an die Regierung hier appellieren, auf die Regierung im Iran einzuwirken, damit das aufhört. Die Folter, die Hinrichtungen, die Straßenschlachten. Die Menschen haben keine Waffen in der Hand.

"Es gab von Anfang an Verhaftungen und Folter"

Zur Eskalation beigetragen hat auch, dass US-Präsident Trump das Atomabkommen aufgekündigt und Sanktionen gegen den Iran verhängt hat. Die wirtschaftliche Lage im Land ist deswegen dramatisch geworden. Das war ja der Grund für die Benzinpreiserhöhung. Kann man sagen, dass die Zuspitzung von außen kam?

Nein, das finde ich nicht. Wenn man die Politik des iranischen Regimes ansieht über die ganzen 40 Jahre, gab es von Anfang an Verhaftungen, Hinrichtungen, Folter. Das alles hat schon ein Jahr nach der Revolution angefangen. Trump ist seit drei Jahren an der Macht. Schon in den 1980er Jahren sind Tausende von Gefangenen hingerichtet worden.

Sie beide haben am Ende der Schahzeit im Iran demonstriert. Damals haben viele, die mit den Mullahs nichts anfangen konnten, auf deren Seite mitdemonstriert, weil sie dachten, wenigstens ist dann der Schah weg...

Das ist richtig. Auch wir haben gegen den Schah demonstriert, aber wir haben nicht für die Mullahs gekämpft. Wir hatten, ehrlich gesagt, keine richtige Vorstellung davon, was danach kommen würde. Viele haben gedacht, egal was kommt, es ist besser als der Schah. Das war vielleicht der größte Fehler. Wir sind von einer Diktatur in die nächste geraten. Es gab keine Chance, dass wir hätten wählen können.

Es gab Spekulationen, dass ausländische Geheimdienste mitgeholfen haben könnten, Ajatollah Khomeini ins Land zu bringen.

Das stimmt auch. Es gibt da unter anderem die Biographie über den damaligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski. Da ist das klar beschrieben. Die Amerikaner haben gesagt: Lieber die Mullahs! Die Alternative wäre gewesen: Sozialisten, Kommunisten, Marxisten. Diese Strömungen waren sehr stark. Die Hoffnung war wohl: Die Mullahs sind Idioten, mit denen können wir handeln. Die haben sich genauso getäuscht wie wir.

"Religion hat für uns keine Rolle gespielt"

Seit die Mullahs an die Macht kamen, sind auch die religiösen Gegensätze wieder aufgebrochen. Vorher gab es im Iran doch eine große religiöse Toleranz, oder?

Total. Als die Revolution kam, war ich 17 Jahre alt. Der Iran war damals wirklich ein säkulares Land, auch wenn viele gläubige Muslime waren und zur Moschee gingen. Das Problem war: Wir hatten keine Demokratie. Es wurden Leute verhaftet, nur weil sie das falsche Buch gelesen hatten. Auch in meiner Familie wurden in der Schahzeit Angehörige verhaftet. Aber es gab nicht diesen Hass zwischen den Religionen. Ich hatte so tolle Freunde, die Juden waren, Zarathustrer, Armenier. Wir haben in einer Straße gewohnt, in der alle diese Gruppen ganz friedlich zusammengelebt haben. Die Religion hat für uns überhaupt keine Rolle gespielt.

Ajatollah Chamenei ist ziemlich alt. Haben Sie eine Vorstellung, wie es weitergehen könnte, wenn er nicht mehr da ist?

Iran ist ein ganz besonderes Land. Es kann alles passieren. Ich habe Freunde, die von Politik viel Ahnung haben. Auch die wissen nicht, was die Mullahs vorhaben.

Rund 55 Prozent der Iraner sind unter 30 Jahre alt. Viele wollen mit dem Islam nichts zu tun haben, weil sie nur diese brutale Version kennen. Im Grunde ist es doch eine Frage der Zeit, bis diese Generation sagt: Wir wollen dieses Regime nicht mehr...

Ich glaube schon jetzt, dass es im Iran heute keine Mehrheit mehr für den Islam gibt. Das ist zu Ende. Die jungen Leute wollen das nicht mehr, sie haben zu teuer dafür bezahlt. Ganz wichtig ist aber auch: Alle Menschen im Iran hoffen auf Unterstützung aus dem Westen. Wir müssen zeigen, dass wir für sie da sind.

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