Oliver gab Millionen Paaren Hoffnung

15.4.2012, 10:50 Uhr
Oliver gab  Millionen  Paaren Hoffnung

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NZ: Herr Professor Dittrich, Oliver W. feiert am Montag seinen 30.Geburtstag. Was bedeutete die Geburt des ersten deutschen Retortenbabys vor 30 Jahren?

Ralf Dittrich: Es war eine Sensation, ein Quantensprung in der Medizin. Dass die Geburt gelungen ist, hat einen lang gehegten Wunsch vieler Wissenschaftler erfüllt: nämlich außerhalb des Körpers eine Eizelle mit einer Samenzelle zu befruchten. Das erinnert viele Menschen an Goethes Homunculus. In Wahrheit ist die Befruchtung im Reagenzglas aber nicht die Schaffung eines künstlichen Lebewesens, es wird nichts genetisch verändert oder künstlich zusammengesetzt.

NZ: Dennoch waren die Ängste damals groß.

Dittrich: Ja, auf jeden Fall. Die anfänglichen ethischen und medizinischen Bedenken waren verständlich, man hatte Angst vor der Methode. Diese Befürchtungen haben sich aber nicht bestätigt.

NZ: Vor fast zwei Jahren hat der „Vater“ der Reagenzglasbabies, Robert Edwards, den Medizinnobelpreis erhalten. Nun wird das erste deutsche Retortenbaby 30 Jahre alt. Werden die Kritiker der künstlichen Befruchtung verstummen?

Dittrich: Sie werden zwar leiser, verstummen aber werden sie wahrscheinlich nicht vollständig. Die In-Vitro-Fertilisation, also die künstliche Befruchtung, wird oft immer noch als Eingangspforte gesehen für alle weiteren Maßnahmen, etwa die Präimplantationsdiagnostik oder die Möglichkeit, ein Designerbaby herzustellen. Deshalb wird es an der IVF immer Kritik geben.

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NZ: Trotz der jahrzehntelangen Erprobung und Anwendung.

Dittrich: Ja, es ist eine etablierte Methode, die in Deutschland seit 30 Jahren angewandt wird, in England sogar noch länger. Inzwischen gibt es in der Bevölkerung wenig Bedenken, dass sie Nachteile für die Kinder oder irgendetwas Gefährliches mit sich bringt. Gesellschaftlich ist die künstliche Befruchtung weitgehend akzeptiert. Paare, die sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, halten das vor Freunden und Familie auch selten geheim.

NZ: Die Ängste vor einer IVF sind also geringer geworden. Wie groß aber sind die Risiken der Patientinnen?

Dittrich: Das ist ein lange diskutiertes Thema. Die Frauen bekommen Hormone verabreicht, um die Eizellproduktion anzuregen. Das kann kurzfristig zur Überstimulation führen, die dann behandelt werden muss. Am Anfang gab es auch Bedenken, ob die Hormongabe auch das Krebsrisiko der betroffenen Frauen erhöhen könnte. Man könnte es sich vorstellen. Wenn man Hormone gibt, sind diese auch möglicherweise krebserregend. Die neuesten Studien zeigen jedoch kein erhöhtes Risiko. Wenn Frauen dennoch Bedenken vor einer Stimulationsbehandlung haben, bieten wir an der Frauenklinik auch „natürliches IVF“ ohne Stimulation an.

NZ: Wie haben sich die Methoden seit dem „Erlanger Baby“ verändert?

Dittrich: Die klassische IVF-Methode, das Zugeben von vielen Spermien zu einer Eizelle hat sich überhaupt nicht verändert. Sie wird immer noch so durchgeführt wie vor 30 Jahren. Man verwendet ein bisschen andere Kulturgefäße und man benutzt ein anderes Kulturmedium. Im Großen und Ganzen aber ist die IVF gleich geblieben.

NZ: Es gibt allerdings Verfeinerungen der Methoden.

Dittrich: Ja, die Reproduktionsmedizin hat Weiterentwicklungen auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion, kurz ICSI genannt. Hier wird nur ein einzelnes Spermium verwendet, um damit eine Eizelle zu befruchten. Das hat den Vorteil, dass man nur ein Spermium pro Eizelle braucht. Man kann also auch dann noch eine Befruchtung durchführen, wenn man wenige Spermien hat. Bis zur Einführung der ICSI war es nicht möglich, männliche Subfertilität gut zu behandeln. Paaren, bei denen die Unfruchtbarkeit daran lag, dass der Mann nicht ausreichend Samenzellen hatte, konnte bis dahin nicht geholfen werden. Und das ist in 40 Prozent der ungewollt kinderlosen Paare der Fall.

NZ: Die rechtlichen Bestimmungen wurden indes nicht groß verändert.

Dittrich: Nein, seit 1991 gibt es das deutsche Embryonenschutzgesetz, das kaum verändert wurde. Nur im vergangenen Jahr wurde die Regelung durch die Einführung eines weiteren Paragrafen verändert, der die Präimplantationsdiagnostik regelt. Was sich aber ein wenig verändert hat, ist die Auslegung des Embryonenschutzgesetzes: Bis vor wenigen Jahren wurden die Bestimmungen sehr wörtlich genommen. Einige Juristen halten diese strikte Interpretation jedoch für nicht gerechtfertigt, weil das Gesetz ein Absichtsgesetz ist. Mit der Regelung sollte Missbrauch verhindert werden – das hängt mit der Embryoselektion zusammen.

NZ: Wie groß ist das Risiko einer Selektion?

Dittrich: Das ist kein Risiko. Nach einer künstlichen Befruchtung hat nur etwa jeder zehnte Embryo die Möglichkeit, in der Schleimhaut anzugehen. Durch eine Selektion versuchen wir, jene Embryonen herauszufinden, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einem Kind führen. Man sondert also nicht die entwicklungsfähigen Embryonen aus, sondern jene, die sich ohnehin nicht weiterentwickeln würden.

NZ: Wenn 65-Jährige Kinder bekommen können - wie groß ist die Gefahr, der Natur ins Handwerk zu greifen?

Dittrich: Es kommt darauf an, wie man die Technik durchführt. Das Problem ist das Alter der Eizelle. Wenn man Eizellen einfriert, solange die Frau jung ist und später verwendet, ist mit Blick auf die Missbildungsrate kein erhöhtes Risiko zu befürchten. Ein Problem ist natürlich die Schwangerschaft der älteren Frau. Allerdings war es früher bereits problematisch mit 45 ein Kind zu bekommen. Das ist heutzutage nicht mehr ganz so. Die Gebärmutter an sich ist in der Lage, auch noch mit 60 Jahren ein Kind auszutragen.

NZ: Sehen Sie dabei moralische oder ethische Bedenken?

Dittrich: Ich habe Bedenken aufgrund des erhöhten Schwangerschaftsrisikos. Aber konkrete ethische Bedenken sehe ich keine.

NZ: Auch nicht, dass das Kind fünf und die Mutter dann 70 ist?

Dittrich: Die Lebenserwartung lag vor 100 Jahren bei 45 oder 50 Jahren. Es gab in Ausnahmefällen schon ältere Menschen, aber in der Regel hat ein Kind eine 50-jährige Mutter nicht mehr erlebt. Heute liegt das erwartete Alter im Schnitt bei bis zu 85 Jahren. Das ist eine Verschiebung nach hinten. Früher war die Spanne, in der man Kinder gekriegt hat, bei etwa 20 Jahren, heute umfasst sie 30 Jahre und mehr. Daher ist es berechtigt, wenn eine Frau auch noch Kinder bekommt, wenn sie etwas älter ist.

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© Harald Sippel

NZ: Inzwischen ist die Behandlung von krebskranken Frauen ein Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit - wie weit ist die Medizin in diesem Bereich?

Dittrich: Die Behandlung krebskranker Frauen mit Chemotherapeutika oder Strahlentherapie heilt zwar in vielen Fällen die Krebserkrankung, führt jedoch häufig zu einem Verlust der Fertilität, also der Fähigkeit, Kinder bekommen zu können. Seit Jahren forschen wir auf diesem Gebiet. Wir frieren einen Teil des Eierstockes mit den darin befindlichen Eizellen vor einer Krebsbehandlung mit einem speziellen Verfahren ein und transplantieren es nach überstandener Krebserkrankung der Patientin wieder zurück. Aus dem Gewebe entwickeln sich reife Eizellen und die Frauen können so schwanger werden. Schwangerschaften konnten wir so schon erreichen und wir rechnen bald auch mit der Geburt eines Kindes – das ist dann wieder eine kleine Sensation.

NZ: Seit die Kassen die Kosten für drei Versuche nur noch zur Hälfte übernehmen, ist die Zahl der IVF-Geburten rückläufig. Hängt es vom Geldbeutel ab, ob man ein Kind bekommt?

Dittrich: Das könnte man so sagen. Man beklagt immer, dass in Deutschland zu wenige Kinder geboren werden, unterstützt aber jene Paare zu wenig, die zwar Kinder möchten, aber aufgrund einer Erkrankung keine bekommen können. Wenn man sieht, wie viel Geld ausgegeben wird, um Frauen und Männern einen Anreiz zur Familiengründung zu geben, ist eine IVF dazu doch recht günstig. Deshalb ist die Politik hier wirklich gefordert.

NZ: Sind die Erfolgsaussichten mit einer IVF schwanger zu werden seit 1982 gestiegen?

Dittrich: Erstaunlicherweise nicht so gravierend, wie man vielleicht denkt. Die Schwangerschaftsrate bei den ersten IVF-Kindern lag bei 20 bis 25 Prozent. Nun beträgt sie in Deutschland bis zu 40 Prozent pro Zyklus und Transfer. Es gab in der Technik also keinen Quantensprung, allerdings können durch die ICSI-Methoden eben mehr Paare behandelt werden.

NZ: Woran liegt es, wenn sich trotz IVF keine Schwangerschaft einstellt?

Dittrich: 70 Prozent der Paare, die in Deutschland eine IVF–Behandlung machen, bekommen ein Kind. Das ist sehr viel, aber 30 Prozent bleiben dennoch kinderlos. Weshalb das so ist, wissen wir letztlich nicht. Zu unserer Arbeit gehört aber auch, Frauen rechtzeitig zu sagen, wenn wir bei ihnen wenig Chancen auf eine Schwangerschaft sehen - damit sie von ihrem Kinderwunsch langsam Abschied nehmen können.

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