Parteitage mit Wahlen: Haben die Parteien zu lange geschlafen?

1.11.2020, 15:44 Uhr
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist noch im Amt, obwohl sie vor neun Monaten ihren Rückzug angekündigt hat.

© Bernd von Jutrczenka, dpa CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ist noch im Amt, obwohl sie vor neun Monaten ihren Rückzug angekündigt hat.

Wohin man auch blickt in Deutschland: Überall werden Parteien von Vorsitzenden geführt, die eigentlich nicht mehr im Amt sein sollten oder wollten. In der CDU ist es Annegret Kramp-Karrenbauer, die schon vor neun Monaten ihren Rückzug angekündigt hatte. In der Berliner SPD ist es Regierender Bürgermeister Michael Müller, der an diesem Wochenende als Landesvorsitzender abgelöst werden sollte. Und die Linkspartei im Bund müsste jetzt auch schon von zwei neuen Vorsitzenden geführt werden.

Die Ursache dafür, dass immer öfter und wohl auch noch für längere Zeit politische "Zombies" an der Macht sind, ist bekannt. Das Coronavirus erlaubt keine Veranstaltungen mit 500, 600 oder gar 1001 Delegierten wie bei bei der CDU. Zumal ja noch Ordnungskräfte, Mitarbeiter und Journalisten hinzukämen. In einer Zeit, in der Bürgern komplett Kultur, Gastronomie und Fitnessstudios verboten sind, würde das außerdem der Vorbildfunktion der Parteien nicht gerecht.


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Für die Pandemie können die Parteien nichts. Aber für eine andere Sache schon: Sie hätten seit März jede Menge Gelegenheit dazu gehabt, wasserdichte rechtliche Lösungen dafür zu finden, wie sie ihre Vorsitzenden auch ohne Massenveranstaltung wählen können. Das geht nach Einschätzung der Experten derzeit nur analog, also entweder mit einem Parteitag oder mit einer Briefwahl. Ersteres ist wie bereits erwähnt unmöglich, Letzteres würde einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordern, denn man könnte ja immer nur über einen Posten nach dem anderen entscheiden (Vorsitz, Stellvertreter, Generalsekretär, Präsidium).

Wolfgang Schäuble will nun gehörig Druck machen

Inzwischen machen immer mehr Politiker Druck und fordern eine gesetzliche Regelung, die digitale Parteitage mit digitaler Abstimmung ermöglicht - natürlich unter Wahrung des Wahlgeheimnisses. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat ein entsprechendes Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments angefordert und will sich dem Vernehmen nach "auch nicht von Verfassungsjuristen von einer Reform abbringen lassen".

Umstritten ist, ob eine Änderung des Parteiengesetzes reicht oder ob dazu sogar die Verfassung geändert werden müsste. Aber auch diesen, weit schwierigeren Weg wollen viele Politiker gehen, wenn es nötig sein sollte. "Wir sollten davor nicht zurückscheuen", sagte der Christdemokrat Carsten Linnemann. Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, merkte an "Für den absoluten Notfall muss die Wahl von Vorständen per Online-Abstimmung möglich sein".

Bei der CDU haben sich die Kandidaten Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet nun "nach intensiver Beratung" darauf verständigt, Mitte Januar als verbindlichen Termin für die Neuwahl des Parteichefs ins Auge zu fassen. Und zwar egal, wie. Am liebsten hätten sie einen (unwahrscheinlichen) Präsenzparteitag, es dürfte aber wohl eher auf eine Online-Veranstaltung mit anschließender Briefwahl hinauslaufen.

Digital-analoge Kombi wäre "zweifelsfrei" erlaubt

Diese Lösung hält auch Sophie Schönberger für vertretbar. Sie ist Co-Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung an der Uni Düsseldorf. Die Kombination aus Online-Beratungen und analoger Briefwahl vertrage sich "zweifelsfrei" mit dem Gesetz. Und es werde langsam auch höchste Zeit dafür, fügte sie in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland an.

Schönberger weist darauf hin, dass die Parteispitzen alle zwei Jahre gewählt werden müsse. Das sei aus rechtlichen und "demokratietheoretischen" Gründen zwingend erforderlich. Annegret Kramp-Karrenbauer wird diese Frist reißen. Sie war im Dezember 2018 in Hamburg gewählt worden, wird aber nun auf jeden Fall in das Jahr 2021 hinein im Amt bleiben. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der eine Bundestagswahl bevorsteht.

Bei der CDU wird nun vorerst nichts brummen

Eine zwischenzeitlich erfolgte Anpassung des Parteiengesetzes sei "handwerklich schlecht gemacht" gewesen, sagt die Expertin. Denn entscheidende Fragen wie die Zwei-Jahres-Frist für die Neuwahl habe man dabei nicht geklärt. Die CDU setze sich zumindest dem Vorwurf aus, "rechtswidrig zu handeln", wenn sie erst im neuen Jahr wählen lässt.


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Mit der großen Linie hat es also offensichtlich nicht geklappt bei den Reformen. Im Detail war man da schon einfallsreicher gewesen. So hatten die Christdemokraten für den abgesagten Dezember-Parteitag das Verteilen von Armbändern an alle Delegierten vorgesehen. Die sollten vibrieren, wenn sich die Parteimitglieder zu nahe gekommen wären. Das hat sich nun erledigt. Es wird vorerst nichts brummen bei der CDU.

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