Interview zum Wahlprogramm der Union

Politikwissenschaftlerin : "Zu 70 bis 80 Prozent wird Laschet Kanzler"

21.6.2021, 16:38 Uhr
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung.

© Foto: Britta Pedersen/dpa Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung.

Frau Münch, bei der Vorstellung des Wahlprogramms sind Armin Laschet und Markus Söder sehr friedlich und freundschaftlich miteinander umgegangen. Wer soll ihnen das noch abkaufen nach allem, was geschehen ist?

Ursula Münch: Überschätzen wir da mal nicht die Wahrnehmung der Mehrheit der Bevölkerung. Dort hat man sich nicht so intensiv mit dem Streit beschäftigt, wie das die professionellen Beobachter von Medien und Politikwissenschaft getan haben. Die Masse der Wählerschaft ist zudem eher vergesslich. Dazu kommt, dass Armin Laschet überhaupt nicht nachtragend ist. Er eignet sich kaum für einen Streit. An ihm perlt alles ab. Wenn wir es mit zwei Söders zu tun hätten, wäre ich mir nicht so sicher, ob der Frieden bis zum Wahltag hält.

Welche zentrale Botschaft entnehmen Sie dem neuen Programm?

Münch: Man stellt sich als die pragmatische Alternative zu den anderen Parteien wie Grüne und SPD dar, die angeblich immer auf Verbote setzen. Das jetzt vorliegende Programm setzt auf einen Mittelweg. Die Union will sich offen zeigen für Modernisierung und auch für Maßnahmen gegen den Klimawandel, aber dabei meidet sie jeden revolutionären Ansatz. Die Wählerschaft soll nicht beunruhigt werden.


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Aber wird ein solches Programm den gewaltigen Herausforderungen durch die Pandemie gerecht?

Münch: CDU und CSU sind traditionell keine Programmparteien. Sie werden noch viel weniger als andere Parteien an solchen Inhalten gemessen. Es geht darum, zu signalisieren, dass man die Probleme pragmatisch und verlässlich angeht. Der Weg der Sozialen Marktwirtschaft soll nicht verlassen werden.

Zum Teil werden große Reformen angekündigt, etwa die Digitalisierung und die Entbürokratisierung. Kann man das einer Partei noch abnehmen, die 16 Jahre lang die Gelegenheit dazu gehabt hätte?

Münch: Ich stutze tatsächlich sehr, wenn ich lese, was da alles modernisiert werden soll. Nehmen wir nur mal den Föderalismus. Dessen Reform wurde schon zig Mal versucht und letztlich hat sich nicht so wahnsinnig viel verändert. Wir haben es mit in sich verfestigten Strukturen zu tun, die auch ein Armin Laschet nicht aufbrechen kann. Da amüsiert man sich dann schon, wenn er nun ankündigt, wie er Deutschland reformieren will.

"Blinkt" denn das Wahlprogramm in eine bestimmte Richtung, nimmt es also mögliche Koalitionen schon vorweg?

Münch: Das Programm zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass man sich nicht festlegen will. Es gibt klare Signale an die FDP, die Armin Laschet gerne als Koalitionspartner hätte. Mit der Partei regiert er ja schon seit einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen geräuschlos. Die Annäherung an die Liberalen sieht man zum Beispiel am Verzicht auf Steuererhöhungen. Die Union lässt aber auch die Türe auf in Richtung Grüne, indem sie immer wieder die Notwendigkeit des Klimaschutzes betont. So verbaut man sich nichts für die Zeit nach dem 26. September.


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Neueste Umfragen gehen jetzt wieder von einem Vorsprung von acht Prozentpunkten der Union gegenüber den Grünen aus. War es das schon mit den Kanzlerinnenträumen von Annalena Baerbock?

Münch: Es ist in der politischen Landschaft wieder eine gewisse Normalisierung eingetreten. Der Medienhype um die Grünen war nicht wirklich berechtigt. Und dann kamen noch Fehler wie die Nachbesserungen der Kanzlerkandidatin im Lebenslauf hinzu. Das hat bestimmt manche Menschen wie treue Unionswähler abgeschreckt, die sich erstmals vorstellen hätten können, die Grünen zu wählen. Ich würde aber nicht sagen, dass sich da nicht noch einmal etwas drehen kann. Wir wissen, dass sich die Wähler immer kurzfristiger entscheiden. Ein sehr heißer Sommer, der den Menschen den Klimawandel in Erinnerung ruft, könnte da schon etwas bewirken. Oder denken Sie an das Elbe-Hochwasser, das Gerhard Schröder im Jahr 2002 kurz vor der Bundestagswahl die Kanzlerschaft gerettet hat.


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Die Tendenz geht aber in Richtung eines langweiligen Wahlkampfes, wenn ich Sie richtig verstehe…

Münch: So deutlich würde ich das nicht formulieren. Sie müssen bedenken, dass es dieses Mal einen so heftigen Wettstreit um die Direktmandate geben wird wie nie zuvor. Bisher hat die Union fast alle Wahlkreise gewonnen, nun muss sie sich auf Verluste vor allem an die Grünen einstellen. Ich denke übrigens, dass sich das disziplinierend auf die CSU und Markus Söder auswirken kann. Jeder Streit wäre in der Lage, bei geringen Abständen dem Direktkandidaten der Konkurrenz zum Sieg zu verhelfen. Bei der Person des Kanzlers bin ich mir da deutlich sichererer: Ich gehe davon aus, dass er zu 70 bis 80 Prozent Nachfolger von Angela Merkel wird.

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